Schon wieder eine Aida im Museum und mit Puppen. Doch in der neuen Pariser Inszenierung funktioniert es – auch dank des Ausnahme-Ensembles mit Jonas Kaufmann, Sondra Radvanovsky und Ksenia Dudnikova.
Von Peter Uehling
Die italienische Oper ist ein Schema zum Ausdruck der Leidenschaften. Wo und in welcher Zeit sich diese Leidenschaften ereignen, ist der Gattung bis zum Verismo kaum einen Blick wert – und auch dann nur, um fremdartige Reize abzugreifen. In seiner Aida widmet Giuseppe Verdi der Zeit und dem Schauplatz der Handlung einige wenige exotistische Wendungen, ansonsten bleiben alle Opern-Rituale in Kraft. Natürlich haben die phrygischen oder pentatonischen Einschübe, die Verzierungen und ungewöhnlichen Instrumentationsideen in Verdis Melodik und Harmonik schwerlich etwas mit altertümlicher ägyptischer Musik zu tun – was mangels musikalischer Aufzeichnungen auch nicht anders sein kann. Insofern: Wenn Libretto und Musik ihren Begriff von Leidenschaft über Personen des ägyptischen Altertums werfen, von deren Empfindungswelt wir wenig wissen, verfahren sie kolonialisierend. Dort, wo sie sich ins Fremde und Vergangene hineinzuversetzen versuchen, erfinden sie es aus der eigenen, opernhaft geprägten Fantasie heraus.
Die niederländische Regisseurin Lotte de Beer bezieht aus dieser Konstellation das Konzept ihrer Aida-Inszenierung, die am 18. Februar an der Opéra national de Paris vorgestellt wurde. Die Ägypter sind Menschen der europäischen Belle Époque, der ungefähren Entstehungszeit der Oper um 1870. Auf Verdis exotistische Klangrequisiten, wie sie in der Tempelszene des ersten Akts erstmals hörbar werden, reagiert sie mit einer Verlagerung der Handlung in ein Völkerkunde-Museum, wo den champagnertrinkenden Gästen ein neues Schaustück präsentiert wird: ein Streitwagen, schließlich wird eine Kriegsweihe vollzogen. Aus dem Triumphmarsch im zweiten Akt wird eine Folge von Tableaux vivants, in der Siegesbilder aus der Französischen Revolution, aus Napoleons Feldzügen bis hin zur US-Flagge auf Iwojima zitiert werden. Am Ende des Marschs sucht Radamès im Feldherren-Habit des 19. Jahrhunderts in einer ziemlich komischen Szene nach passender Positur und probiert sich mit Axt und Bogen aus, bis er im Schwert das passende Attribut gefunden hat. Amneris empfängt im Boudoir – und damit ist dann ungefähr alles beisammen, was die Herkunft der Oper aus einer Zeit und Gesellschaft beschreibt, die in Sachen Kolonialismus mit erschreckender Brutalität und Rücksichtslosigkeit zu Werke ging und es allenfalls akademisch für nötig hielt, Interesse für die unterjochten Völker aufzubringen.
Jetzt weiterlesen!
Dies ist Premiummaterial. Testen Sie unsere Angebote, um den gesamten Artikel zu lesen.
Abonnieren
Das aktuelle gedruckte Heft jetzt bestellen oder komplett online lesen!Jetzt mit wenigen Klicks zum OPER!-Inhalt
Ausprobieren
Zwei ausgewählte Artikel kostenlos lesen? Dann registrieren Sie sich hier!In dieser Ausgabe kostenlos: