Mariame Cléments Inszenierung von Massenets Cendrillon wird an der Opéra Bastille zu einem zauberhaften Abend. Ebenso zauberhaft klingt es auch aus dem Orchestergraben.
Von Marc Zitzmann
Frage: Was ist so groß wie ein Hobbit-Haus, besteht hauptsächlich aus Metall, hat Leitern und Luken, Röhren und Spindeln, Nieten und Leuchtanzeigen, flackert und funkt, blubbert und blitzt? Leser und vor allem Leserinnen, die sich ihre Kinderseele bewahrt haben, wissen es natürlich: eine Prinzessinnen-Produktionsmaschine! Eine solche thront im Heim der Haltières, einer – neudeutsch gesagt – Patchworkfamilie, als deren Oberhaupt die resolute Madame fungiert. Wird Massenets Cendrillon (selten genug) einmal aufgeführt, erscheint Madame de la Haltière stets als eine schrille Charge, eine Mischung aus Schreckschraube und Hausdrache. Nicht so in Mariame Cléments Inszenierung an der Opéra Bastille, der ersten überhaupt an der Pariser Nationaloper. Die Regisseurin nimmt die Figuren – alle Figuren! – nicht nur ernst, sie wirft auch einen nahezu liebevollen Blick auf sie. In jeder von ihnen sieht sie das Beste – und fördert so unvermutete Facetten zutage.
Madame de la Haltière, um bei diesem Beispiel zu bleiben, betritt die Bühne nicht im Rüschenkleid einer Männerhasserin mit Standesdünkel, sondern in der Arbeitskluft einer Erfinderin und Entrepreneurin. Ihre Prinzessinnen-Produktionsmaschine verwandelt jede Kreatur, die man hineinsteckt (selbst die Hauskatze!), in ein goldgelocktes Püppchen mit rosarotem Reifrock – auf dem Heiratsmarkt die Premium-Ware schlechthin. Clément schließt so von Anfang an die Entstehungszeit des 1899 an der Pariser Opéra-Comique uraufgeführten Vierakters – das Zeitalter der von Zweifeln noch kaum angekränkelten industriellen Produktion – mit dem Inhalt der Märchenoper kurz.
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