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Beim Ravenna Festival gönnt man sich eine „Trilogia secondo Riccardo Muti“ – mit Norma, Nabucco und einer Verdi-Gala.
Von Kai Luehrs-Kaiser
Eine Riccardo-Muti-Festival? Kaum zu glauben, dass es das schon so lange gibt und die Welt trotzdem zu wenig davon mitbekommen hat. Seit Ewigkeiten lebt der heute 82-jährige Muti in Ravenna, wo eben deswegen ein alljährliches Festival stattfindet, das seine Frau organisiert. Nicht in jedem Jahr ist „der letzte Maestro“, wie man Muti füglich titulieren darf, selbst präsent. Diesmal aber dirigiert er innerhalb der „Autumn Trilogy“ gleich drei große Abende: Norma, Nabucco und eine All-Verdi-Gala. Zentrales Repertoire, ja heiliger Bezirk für einen der größten Kenner der italienischen Oper, die es gibt.
Die Verdi-Gala ist mit Sängern wie Ildar Abdrazakov, Rosa Feola, Juliana Grigoryan und Piero Pretti stargespickt. Die übrigen Protagonisten – Isabel De Paoli, Elisa Balbo, Vittoria Magnarello, Riccardo Rados und Luca Micheletti – singen bislang an mittleren bis großen Häusern in Italien, wo immer noch der beste Nachwuchs des gesamten Fachs herkommt. Muti dirigiert das von ihm gegründete Orchestra Giovanile Luigi Cherubini.
Als sängerhungriger Dirigent mit kaum zu überbietender Expertise hat er gewiss schon manchen großen Namen hinter sich gelassen. Von Nabucco zumindest, zu dem er nach langen Jahren zurückkehrt, legte er schon 1978 die bis heute ausgeglichenste und beste Gesamtaufnahme vor – mit Renata Scotto, Matteo Manuguerra, Nicolai Ghiaurov, Veriano Lucchetti und Elena Obraztsova. Ein Klassiker.
Sängerhungriger Dirigent mit kaum zu überbietender Expertise
Muti, das muss wahr sein, kennt sich aus. Die Sopranistin Cheryl Studer berichtet, von ihm die wichtigste Sänger-Lektion ihres Lebens überhaupt erhalten zu haben. 1987 war es im Rahmen einer Giorgio-Strehler-Produktion an der Mailänder Scala. Studer war engagiert. Muti verlangte, erzählt sie, „dass alle Sänger während der Proben anwesend sind – den ganzen Tag. Und da saßen sie also: die Gruberová, Franzisco Araiza, Thomas Allen und José van Dam. Alle kochten innerlich darüber, dass sie sich das überhaupt bieten ließen.“ Auch Studer. Sie war Anfängerin damals. „Ich langweilte mich. Aber irgendwann habe ich mir gesagt: ‚Vielleicht hörst du einfach mal zu!?‘“ Sie begann zu notieren, was Muti sagte. Und realisierte: ‚Wow, das ist ja ein Extrakurs in Mozart!‘ „Ich muss sagen: Es war das Erlebnis meines Lebens schlechthin. Ich wurde geradezu süchtig danach.“
Dieses Muti-Lob will etwas bedeuten. Denn Cheryl Studer stammte noch aus seligen Zeiten, in denen Dirigenten dermaßen gut mit den Sängern atmeten, dass sie ihnen jeweils zwei Einsätze gaben: „zuerst den Einsatz zum Luftholen und dann zum Loslegen“. Diese Ära dürfte einigermaßen der Vergangenheit angehören. So sehr jedenfalls, dass der Muti-Crashkurs in Ravenna so viel bedeutet wie ein Aufdämmern zurückliegender, goldener Zeiten.
In Gestalt des Teatro Alighieri bespielt man eines der herrlichen italienischen Stadttheater, von denen sonst allzu viele leerstehen (oder fast). Das Logentheater im Zentrum der Innenstadt orientiert sich baulich am neoklassischen Stil des venezianischen Teatro La Fenice (es stammt vom selben Architekten). Eröffnet 1852, wurde es später nach dem in Ravenna exilierten und begrabenen Dante Alighieri benannt. Schon seit jeher ist Verdi der wichtigste Werklieferant des Hauses.
Kulturhotspot Ravenna
Berühmt als touristischer Hotspot ist Ravenna insgesamt aufgrund der Mosaiken in einem Halbdutzend Kirchen und Kapellen. Sowie wegen des großartigen Mausoleums von Theoderich dem Großen. Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei dem von gut 150.000 Einwohnern bevölkerten Ort spürbar um eine Kleinstadt handelt. Ein Nest. Hier ist fast alles fußläufig erreichbar – mit alleiniger Ausnahme des freilich schönsten Mosaiks von allen, in der Kirche Sant‘Apollinare in Classe. (Dorthin fährt ein Bus.) Wer eine Reise plant, dem sei von daher eine zügige Reservierung von Hotelzimmern geraten.
In der halbszensichen Aufführung von Bellinis Norma singt mit Monica Conesa eine der Aida-Sängerinnen dieses Sommers in der Arena di Verona (nachdem Conesa für dieselbe Rolle schon im Februar im Teatro Filarmonico in der alten Veroneser Zeffirelli-Produktion verpflichtet war). Muti, wie man daraus schließen darf, liebt starke Stimmen. Der Pollione ist mit dem albanischen Tenor Klodjan Kaçani entsprechend hochpotent besetzt. Die französische Mezzosopranistin Eugénie Joneau ist als Adalgisa umso jünger.
In Nabucco will es Lidia Fridman als Abigaille (ebenfalls unter 30) wissen. Sie ist Russin und singt sonst bereits Salome, Lucrezia Borgia und Lady Macbeth. Bariton Serban Vasile als Nebukadnezar war zuletzt Graf Luna in Bergen, Sharpless in Timisoara und Macbeth. Als Zaccaria gibt Evgeny Stavinsky, langjähriges Mitglied der Neuen Oper Moskau, sein Rollendebüt. Den Ismaele singt Riccardo Rados. Alles Sänger, die dick genug im Geschäft sind, um sie kennenlernen zu wollen.
Die semiszenische Einrichtung übernimmt in beiden Produktionen ein auf den Künstlernamen „Svccy“ hörender visual artist. Er begann vor Jahren als Photoshop-Künstler. Mit dem visual programmer Davide Broccoli wiederum hat Organisatorin Cristina Mazzavillani Muti schon früher zusammengearbeitet. Die drei Abende sind en bloc buchbar. Kurz: Riccardo Muti, der Mann mit dem noch immer schönsten Bartschatten der Musikgeschichte, lädt ein. Da wird man doch nicht absagen wollen.
Ravenna Festival 2023
A Trilogy According to Riccardo Muti
16. bis 22. Dezember
Mehr Informationen unter: www.ravennafestival.org