Im Interview spricht Sondra Radvanovsky über ihr Medea-Debüt an der Met, den Mut zu hässlichen Tönen und die Kommunikation mit dem Publikum.
Interview: Uwe Friedrich
Sie debütieren im Herbst an der New Yorker Metropolitan Opera als Medea in Cherubinis gleichnamiger Oper. Was ist die größte Herausforderung bei dieser Rolle?
Es kommt darauf an, ihre menschliche Seite zu zeigen und verständlich zu machen. Früher wurde sie vor allem als kindermordendes Monster gesehen, als Hexe, die erst Jason betört und dann das schrecklichste Verbrechen begeht, zu dem eine Mutter fähig ist, nämlich ihre Kinder umzubringen. Aber sie ist auch eine zärtliche, eine mitfühlende, eine liebende Frau. Der Mann, die gesamte Gesellschaft treiben sie erst in die Verzweiflung, dann in die Gewalttat. Wenn sie als Hexe bezeichnet wird, bedeutet das nach meinem Verständnis nicht etwas Magisches, sondern dass sie eine weise, eine wissende Frau ist. Sie ist zwar raffiniert, aber nicht in erster Linie durchtrieben und böse. Wenn sie ihre Kinder umbringt, weiß sie keinen anderen Ausweg. Menschen tun schreckliche Dinge aus Liebe. Unermessliche Liebe und unüberbrückbarer Hass liegen manchmal nah beieinander. Ich möchte ihre Liebe, ihre Verletzungen, ihren Schmerz zeigen. Cherubinis Musik ist sehr deklamatorisch, wie in Glucks Reformopern. Das ist nicht leicht zu singen, aber beim Rollenstudium lerne ich wieder viel über Gesang.
Haben Sie diese Rolle etwa gewählt, um etwas Neues über ihre Stimme zu lernen?
Nein, das ist höchstens ein Nebeneffekt. Aber ich möchte mich auch nicht bloß auf meinen Lorbeeren ausruhen und immer wieder die Rollen singen, von denen ich weiß, dass ich sie beherrsche. Ich habe die drei Tudor-Königinnen von Donizetti an der Met gesungen, das war auch eine Herausforderung, aber Medea ist etwas anderes. Diese Frau habe ich sofort gemocht, deshalb wollte ich sie singen und darstellen. Dazu kommt, dass die Musik ganz anders ist als alles, was ich bisher gesungen habe. Es ist ganz anders als Mozart, es ist auch kein Belcanto. Stilistisch liegt es irgendwo dazwischen. Man braucht die Belcanto-Technik als Basis, um diese Rolle singen zu können. So wie es bei Maria Callas war. Ihr Geist steht sozusagen direkt hinter mir, wenn ich die Rolle studiere und wenn ich sie singe. Callas hat mich schon immer inspiriert. Ich wollte sie nie kopieren, aber es gibt Parallelen zwischen uns. Wenn ich nach neuen Wegen für meine Karriere gesucht habe, habe ich immer geschaut, was Maria Callas gemacht hat. Welche Rollen sie wann gesungen hat. Genauso habe ich mir angeschaut, was Renata Tebaldi und Leontyne Price gesungen haben. Daran habe ich mich orientiert. Ich werde sicher nicht alle ihre Rollen singen, Brünnhilde liegt mir sehr fern, aber es lohnt sich zu schauen, welche Rollen sie gesungen haben, mit welchen sie Erfolg hatten und mit welchen es Probleme gab. Medea möchte ich unbedingt näher kennenlernen. Meine Stimme hat sich in eine Richtung entwickelt, die es mir nun ermöglicht, diese Musik auf meine eigene Weise zu gestalten.
Jetzt weiterlesen!
Dies ist Premiummaterial. Testen Sie unsere Angebote, um den gesamten Artikel zu lesen.
Abonnieren
Das aktuelle gedruckte Heft jetzt bestellen oder komplett online lesen!Jetzt mit wenigen Klicks zum OPER!-Inhalt
Ausprobieren
Zwei ausgewählte Artikel kostenlos lesen? Dann registrieren Sie sich hier!In dieser Ausgabe kostenlos: