Als hätte Richard Wagner persönlich an ihrer Wiege gewacht, wusste Nadine Secunde schon vor Beginn ihrer großen Karriere, wohin die Reise führt: nach Bayreuth und von dort aus in den Rest der Welt. Angefangen hatte sie in Wiesbaden, wo die amerikanische Sängerin ihr Fach von der Pike auf gelernt hat und noch heute lebt.
Von Stephan Schwarz-Peters
Den wohl traurigsten Moment ihrer Laufbahn erlebte Nadine Secunde Ende Juli 1987 nicht auf der Opernbühne, sondern – Klassiker aller Übersprungshandlungen – beim Bodenwischen ihrer Bayreuther Sommerunterkunft. „Im Hintergrund lief das Radio, die Lohengrin-Übertragung aus dem Festspielhaus, und ich habe geheult“, erzählt die Sängerin. Eigentlich hätte sie die Elsa in der Premiere von Werner Herzogs neuer Inszenierung singen sollen, doch ein Virus hatte sie außer Gefecht gesetzt, der damalige Hügelchef Wolfgang Wagner fällte die Entscheidung: Sendepause. Schlimm, aber kein Weltuntergang. „Ich komme aus einer bodenständigen Familie“, sagt die aus Ohio stammende Sopranistin, Tochter eines Automechanikers und einer Krankenschwester, „von dort habe ich eine große mentale Stärke mitbekommen.“ Das glaubt man der herzlichen, gänzlich unprätentiösen Sängerin aufs Wort. So jemand hat einfach das Temperament, die große Bühne zu bespielen, und eine Präsenz wie diese kann man vermutlich nur dann entwickeln, wenn man genau weiß, was man macht und wo man hin möchte. Bei Nadine Secunde war der Fall von Anfang an klar: „Schaut mich an: Ich wurde fürs Wagner-Fach geboren, da gab es überhaupt keine Diskussionen.“
Ebenso klar war, dass der Weg dorthin über Deutschland führte. Mit einem Fulbright-Stipendium, dem Mercedes unter den Stipendien, gelangte sie nach ihrem Studium am Oberlin College und an der Indiana University ins gelobte Opernland, holte sich zunächst in Stuttgart den letzten Schliff und wurde, Teil des Stipendiums, unter die Fittiche der Künstleragentur Hilbert genommen – damals wie heute ein zuverlässiger Helfer bei der Karriereplanung. „In Deutschland sollte ich Gelegenheiten bekommen, mich durch das deutsche Repertoire von Mozart bis Weber zu arbeiten, um dann bei Wagner zu landen“, erinnert sich Nadine Secunde. Zum Beispiel an einem Haus wie dem Hessischen Staatstheater Wiesbaden, das Ende der 70er-Jahre mit einem besonders gut gepflegten Ensemble aufwarten konnte und die stimmstarke Anfängerin mit Kusshand nahm. „Ich war Mitte, Ende 20 und habe einfach alles gesungen, was man mir vorsetzte. Den unbekanntesten Kram von der Stummen von Portici bis zu Fortners Bluthochzeit. Und wenn ich einen Rat brauchte, bin ich zu meinen Ensemble-Kollegen gegangen. Es war alles so einfach, eine tolle Zeit“, sagt sie, die mit Sieglinde in Wiesbaden bald die erste Etappe ihrer Wagner-Reise zurücklegen konnte.
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