LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
Als die Bayerische Staatsoper Anfang des Jahres Henry Purcells Dido and Aeneas mit Arnold Schönbergs Erwartung innerhalb eines Opernabends miteinander verband und vom Regisseur Krzysztof Warlikowski als Fortschreibung einer traumatischen Erfahrung erzählen ließ, ging das inhaltlich und szenisch glänzend auf. Als Axel Ranisch im März an der Staatsoper Hamburg Giacomo Puccinis Il trittico in eine Rahmenhandlung zwang, die die drei Kurzopern zu drei Stationen im Leben der hinzuerfundenen Schauspielerin Chiara di Tanti machte, stieß das bei Teilen des Publikums auf lautstarken Protest. An der Metropolitan Opera in New York versuchte nun der kanadische Regisseur François Girard, Richard Wagners Lohengrin als Fortsetzung seiner Parsifal-Inszenierung am selben Ort zu erzählen – was inhaltlich gar nicht so fern liegt (und deswegen auch schon von anderen Regisseuren versucht wurde), in der Inszenierungsrealität aber kaum gewinnbringend eingelöst wurde (nachzulesen auch in der Rezension in dieser Ausgabe).
Die Idee, Opern aufeinander zu beziehen, um sie zu einem größeren Werk zu vereinen, wird häufiger geboren, als man denkt. Doch die frappierende Innovation, als die solches Vorgehen regelmäßig verkauft wird, ist in Wirklichkeit ein alter Hut, der nicht selten aus dem Schrank genommen wird, weil es an Kreativität und Schaffenskraft fehlt. Wenn einem zum Stück nichts Neues mehr einfällt, versucht man es eben mit zweien, da lassen sich zumindest neue Brücken wagen. Gelingen diese inhaltlich belastbar und überzeugt die Lesart beider Teile jeweils auch für sich, dann ist das allerdings nicht weniger als das Überqueren der Ziellinie in der Königsdisziplin.
Uwe Eric Laufenberg, streitbarer Intendant des Staatstheaters Wiesbaden, der Anna Netrebko zum Rollendebüt als Abigaille bei den diesjährigen Maifestspielen überzeugen konnte (was für sich genommen angesichts des nicht eben opernmetropolenhaften Rangs der hessischen Landeshauptstadt durchaus eine bemerkenswerte Leistung ist) und auch trotz heftigen öffentlichen und staatlichen Gegenwinds am Engagement der Sopranistin festhält, hat zur Eröffnung des Festivals nun ebenfalls eine Opern-Kombi programmiert. Besonders ambitioniert ist sie zudem, nicht nur weil es sich um Werke von Leoš Janáček handelt, sondern vor allem, weil sie auch noch am selben Tag Premiere haben, Die Sache Makropulos um 16 Uhr, Aus einem Totenhaus um 20 Uhr. Regisseur und Dirigent sind jeweils dieselben und man darf gespannt sein, ob das inhaltliche Versprechen, das die beiden im Vorfeld abgeben, auch eingehalten wird. Welchen Ansatz man wählt, erfahren Sie in unserer Nahaufnahme der vorliegenden Ausgabe.
Noch ein weiteres Großprojekt wird im April zu verfolgen sein: das Rollendebüt von Jonas Kaufmann als Tannhäuser bei den Osterfestspielen Salzburg, mit der ersten Vorstellung gleich zu Beginn des Monats. Was die Partie so schwierig macht, warum er sie erst jetzt, nach bereits erfolgtem Tristan-Debüt, singt und was die italienische Oper von der deutschen lernen kann, darüber haben wir uns mit dem Tenor unterhalten. Und noch ein weiteres Interview aus Anlass eines Wagner-Rollendebüts finden Sie in dieser Ausgabe, nämlich mit der Sopranistin Dorothea Röschmann, die viele Jahre als lyrischer Sopran nicht nur im Ensemble der Staatsoper Berlin für großartige Abende sorgte und nun an der Opéra national de Lorraine in Nancy ihr Debüt als Isolde gegeben hat. Auch hier spricht ein kluger Vollprofi, der weiß, was er sich zutrauen kann und wie Herausforderungen erfolgreich zu meistern sind. Künstler in beiden Fällen, von denen Nachwuchskräfte viel lernen können.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!
Ihr
Ulrich Ruhnke