LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
Was macht ein Opernhaus zum besten Opernhaus? Ein guter Lauf bei den Inszenierungen, das Engagement besonderer Sänger, die Stückauswahl oder Errungenschaften im Bereich außerhalb des Kerngeschäfts, also etwa bei Education-Programmen und Nebenbühnen-Produktionen? Erfolg bei der so wichtigen Verankerung in die immer diverser werdende Stadtbevölkerung? Einzeln weder noch, alles zusammen hingegen schon. Und das macht die Sache so schwierig und kompliziert.
Einem Opernhaus ist das Kunststück jedoch in besonderer Weise gelungen, nämlich der Oper Dortmund. Ihr Intendant Heribert Germeshausen hat dem Haus, das bis zu seiner Tätigkeit dort nie in Verdacht stand, nationale oder gar internationale Aufmerksamkeit zu erregen, eine ebensolche verschafft. Eine herausragende Gesamtleistung auf der Grundlage vieler richtiger Einzelentscheidungen, die wir am 27. Februar mit der Überreichung des OPER! AWARD 2023 in der Kategorie „Bestes Opernhaus“ würdigen. Im Rahmen der festlichen Preisverleihungsgala im Opernhaus Dortmund werden auch die Preisträgerinnen und Preisträger in den übrigen 19 Kategorien bekanntgegeben und ausgezeichnet werden. Wer zu den Gewinnern gehört, verraten wir Ihnen selbstverständlich in der nächsten Ausgabe von OPER!.
Ob bis dahin auch die Nachfolge des Anfang Januar aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amt als Generalmusikdirektor zurückgetretenen Daniel Barenboim geklärt sein wird, darf bezweifelt werden. Überlegungen gab es hinter den Kulissen schon lange vor dem offiziellen Rücktritt. Doch die Berliner Kulturpolitik hat es bislang nicht einmal geschafft, den ab 2025 offenen Intendantenposten an der Deutschen Oper Berlin neu zu besetzen; den Favoriten Tobias Kratzer hat man sich von Hamburg wegschnappen lassen. Ein undurchsichtiges Verfahren, das sich noch nicht einmal an die eigenen Regeln hält. Bewerbungsannahmen und sogar -aufforderungen an bestimmte Kandidaten noch nach Bewerbungsschluss machen den Findungsprozess nicht eben seriös und bestätigen den Ruf Berlins als Mauschel-Hauptstadt. Am 12. Februar wählen die Berliner ein neues Abgeordnetenhaus, weil die Wahl im September 2021 – bislang einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik – wegen „schwerer systemischer Mängel“ für ungültig erklärt wurde. Bis dahin versuchen auch die amtierenden Kulturpolitiker erst einmal die eigene Haut zu retten und wichtige strategische Entscheidungen bleiben liegen. In Sachen GMD-Nachfolge freilich ist vielleicht ohnehin nur noch eine Frage zu klären: Bekommt Christian Thielemann dasselbe einsame Spitzengehalt wie Daniel Barenboim oder nicht? Um das Geld allein geht es dabei nicht nur, vor allem geht es um die damit verbundene Anerkennung und Gleichstellung mit seinem Vorgänger. Thielemanns Verhandlungsposition ist außerordentlich gut und der Markt geeigneter Kandidaten sehr überschaubar. Auch darüber erfahren Sie mehr in unserem Themenbeitrag über Opernmusikdirektoren.
Wer Lohengrin sagt, meint mit Blick auf die Sänger oft Klaus Florian Vogt. Kein zweiter Sänger wird seit vielen Jahren so sehr mit der Schwanenritter-Rolle identifiziert wie der norddeutsche Tenor, der zunächst als Hornist im Philharmonischen Staatsorchester Hamburg tätig war. Das unverkennbare Timbre und die ganz eigene Art der Tonproduktion passen zu der Figur wie zu kaum einer anderen. Aber sind sie auch für die Partie des Siegfried geeignet? Gleich Anfang März werden wir es erfahren, wenn Vogt im neuen Züricher Ring erstmals den Junghelden singt (an der Seite der ebenfalls in ihrer Rolle debütierenden Camilla Nylund als Brünnhilde). Was den Sänger zu diesem nicht unerheblichen Schritt bewogen hat, wieso er sich gut gewappnet fühlt und was ihn an der Rolle reizt, erfahren Sie in unserem Gespräch mit Vogt im vorliegenden Heft. In weiteren Interviews sprechen wir mit John Relyea, der in London gerade seinen ersten Wotan vorbereitet, mit der großartigen Koloratursopranistin Erin Morley, dem Tenor David Butt Philip – und last but not least mit Asmik Grigorian, eine der derzeit wohl fesselndsten Sängerinnen und Darstellerinnen auf der Opernbühne.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und verbleibe mit herzlichen Grüßen,
Ihr
Ulrich Ruhnke