LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
Man darf wieder zuversichtlich sein. Impffortschritt und die Abkehr vom Inzidenzwert hin zu einem Kriterienmix mit der Hospitalisierungsrate als wichtigstem Indikator deuten auch für den Opernbetrieb auf eine langsame Rückkehr zu Normalität hin. Natürlich, was Herbst und Winter bringen werden, bleibt abzuwarten. Doch zum Spielzeitbeginn im Spätsommer zeigen sich die Opernhäuser insgesamt gut aufgestellt. Vielerorts ist die auch wirtschaftlich bedeutsame Vollauslastung grundsätzlich wieder erlaubt, sofern die 3G-Regel eingehalten wird. Individuelle Handhabungen gibt es dagegen bei der Maskenpflicht, was wiederum Auswirkungen auf die Auslastung hat. Während beispielsweise die Deutsche Oper Berlin alle Plätze anbietet, ihre Besucher aber zum Tragen einer FFP2- oder einer medizinischen Maske (immerhin ist auch diese jetzt wieder erlaubt!) verpflichtet, verkauft die Komische Oper Berlin vorerst nur 50 Prozent ihrer Karten und platziert im Schachbrettmuster mit der Möglichkeit, die Maske während der Vorstellung abzunehmen. Bei einer Befragung des Publikums war eine Präferenz für diese Lösung zu erkennen gewesen. Nicht nur das Programm und die Künstler mögen für den hauptstädtischen Besucher in den nächsten Wochen also ein Auswahlgrund für das eine und gegen das andere Haus sein, sondern auch sein individuelles Sicherheitsempfinden. Abstand oder Maske? Was einem sicherer dünkt, darf man wählen.
Geradezu luxuriös mag eine solche Option dem Opernfreund in den USA anmuten, wo etwa die Metropolitan Opera sowohl sämtlichen Beschäftigten als auch dem Publikum nur mit vollständigem Impfschutz Zutritt zum Haus gewährt, auch Kindern und Jugendlichen. Nachdem die Regierung lange auf Freiwilligkeit gesetzt hat, kommen nun in immer mehr Bereichen die Pflichtimpfungen.
Ein anderes Virus, das Opernvirus, verabreicht die Oper Köln jungen Menschen seit nunmehr 25 Jahren in ihrer Kinderoper. Ein schwieriges Unterfangen, das Fachwissen, Begabung und nur erstklassige Qualität erlaubt. Denn Kinder sind gnadenlos ehrliche Bewerter. Um sie zu begeistern und gar bei der Oper zu halten, braucht es Expertise wie sie sich die Kölner Institution als eine der allerersten in diesem Bereich inzwischen aufgebaut hat. Wie alles anfing und wie man selbst Richard Wagner den Kindern erfolgreich nahebringt, erfahren Sie in unserem Themenbeitrag.
Wie wiederum eines der herausforderndsten Werke nicht nur eben jenes Komponisten, sondern der gesamten Opernliteratur musikalisch nahezu vollendet erklingen kann, lesen Sie ebenfalls in der vorliegenden Ausgabe, im Bericht über die Premiere von Tristan und Isolde an der Bayerischen Staatsoper. Dass Kirill Petrenko am Pult für orchestrales Klangglück sorgen würde, war abzusehen. Weniger eindeutig vorhersagbar war hingegen der Ausgang der beiden prominenten Rollendebüts von Jonas Kaufmann und Anja Harteros. Nach der Premiere muss man nun konstatieren: zwei epochale Ergebnisse. Wann je hat man nicht nur den dritten Akt dermaßen kurzweilig, entspannt und maximal gespannt gleichermaßen erlebt, scheinbar mühelos liedhaft erzählt wie von Jonas Kaufmann? Oder eine Isolde wie von Anja Harteros, souverän und leuchtend, fernab von den üblichen Rollenroutiniers der aktuellen und auch weiter zurückliegenden Jahre? Komplettiert zudem von einer der heranreifenden, neuen Brünnhilden, von Okka von der Damerau als Brangäne. Was sich in München zum Abschluss der Ära von Nikolaus Bachler ereignete, war nicht weniger als eine Sternstunde der Oper.
Noch ein anderes mit großen Erwartungen verknüpftes Debüt hätte in diesem Sommer stattfinden sollen: Günther Groissböck als Wotan. Doch fünf Tage vor der Walküren-Premiere sagte der Bassist ab, während er an seinen Auftritten in anderen Partien bei den Bayreuther Festspielen festhielt. Zu den Gründen für seinen kurzfristigen Rückzieher haben wir ihn befragt. Auch das lesen Sie in der vorliegenden Ausgabe.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und einen guten Start in die neue Spielzeit!
Herzlich
Ihr
Ulrich Ruhnke