Rund wie ein Vogelei: An der Kölner Oper legt die Regisseurin Nadja Loschky die verborgenen Schichten von Walter Braunfels‘ Aristophanes-Oper Die Vögel frei – und erbringt dabei den Beweis, dass dieses 1920 uraufgeführte Meisterwerk auf die Bühne gehört.
Von Stephan Schwarz-Peters
Auch in der Kunst hatte die Menschheitskatastrophe des Ersten Weltkriegs die Erkenntnis gefördert, dass es ein „Weiter so“ nicht geben durfte. Keine fünf Minuten, nachdem der Kaiser zum Teufel gejagt war, übernahmen deutsche Komponistenhoffnungen wie Paul Hindemith oder Kurt Weill die Rolle des Bürgerschrecks, für den „nie wieder Krieg“ gleichbedeutend war mit „nie wieder Alpensinfonien“. All die antiromantischen Missklänge, mit denen sie die Zuhörerschaft Anfang der 20er-Jahre verwirrten und faszinierten – die Quartenharmonik, der Jazz, das „Tempo der Zeit“ – waren nicht zuletzt Versuche, sich die Erfahrungen des Krieges von der Haut zu kratzen. Ganz anders fiel die künstlerische Reaktion von Walter Braunfels aus, der dem Trauma die Utopie reiner Schönheit und Poesie entgegensetzte: Seine 1920 uraufgeführten Vögel nach Aristophanes sind ein Muster an romantisch verhüllter Klassizität, ein aus Wohlklang gewebtes Meisterwerk, dessen Vollendungsgrad sich allenfalls mit dem einer griechischen Vase vergleichen ließe. Wie bei ihr sucht man Ecken und Kanten vergeblich. Doch wie sieht es mit Rissen und Sprüngen aus?
Um sie zu entdecken, darf man nicht die Ränder abtasten. Man muss ins Innere schauen, und genau das hat Nadja Loschky in ihrer Kölner Inszenierung getan; vorweggesagt: ein großer Wurf, dessen Gelingen auch der außergewöhnlichen Zusammenführung von Regie, Ausstattung (Ulrich Leitner) und Kostümen (Irina Spreckelmeyer) geschuldet ist. Im Team entfesseln sie ein allegorisches Spiel, in dem sämtliche Aspekte der Handlung und der Musik, aber auch die historischen Umstände und die innere Motivation des Komponisten, seine zeitgeschichtlichen und theologischen Reflexionen, kunstvoll in Einklang gebracht werden. Zwei Menschen verschlägt es in die Vogelwelt, deren sympathische, leider aber auch ziemlich naive Bewohner sich bald in eine Art Handelskrieg gegen die Götter verstricken lassen. Unter Anleitung des skrupellosen Ratefreund (mit dunkler, verführerisch-listiger Stimmgewalt: Joshua Bloom) errichten sie, um den Austausch zwischen menschlicher und göttlicher Sphäre zu stören, die Festungsstadt Wolkenkuckucksheim. Die Machtdemonstration endet, nachdem Zeus ein paar Blitze aus dem Handgelenk abgefeuert hat, und alles stiebt auseinander.
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