Das Luzerner Theater macht Béla Bartóks einzige Oper Herzog Blaubarts Burg auch musikalisch zum Kammerspiel. Eine Produktion, die zum Nachdenken anregt.
Von Tobias Gerosa
Sind wir zu spät? Wenn sich die Türen des Luzerner Theaters an diesem sonnigen Spätsommernachmittag öffnen, treten wir direkt ein in Herzog Blaubarts Burg und seine Welt. Das Orchester spielt bereits, Judith und Blaubart sind offensichtlich schon voll in ihrem Kampf. Judith gewinnt, die siebte Tür geht auf. Dann schneidet ihr Blaubart die Kehle durch – Judith 2 (die lyrische Camila Meneses) ist tot. Der Eiserne Vorhang fällt. Saallicht. Aus nach einer Viertelstunde? Natürlich nicht, auch wenn der Abend mit 80 Minuten kurz bleibt. Aber diese Zeit ist intensiv, und musikalisch scheinen da auch ein paar Dinge anders, als man sie kennt: Bartók hat Skizzen für einen alternativen Schluss hinterlassen, in Luzern gräbt man sie aus und nutzt sie dramaturgisch als Alternative, stellt sie der eigentlichen Partitur voran.
Der Beginn mit dem Schluss gehört zum Regiekonzept, das sich das Team um die Regisseurin Anika Rutkofsky ausgedacht hat. Die Gewinnerin des Regiepreises „Ring Award“ liest Béla Bartóks Einakter von 1918 als Geschichte eines tradierten Verhältnisses von Gewalt: Der Mann wirbt, sammelt und unterdrückt die Frauen – Judith ist seine achte. Doch bei Rutkofsky lässt sie das nicht mehr mit sich machen: Judith emanzipiert sich und lässt die toxische Männlichkeit als zitterndes, brabbelndes Häufchen zurück, wenn sie am (zweiten) Schluss durch den Publikumsraum abgeht und nicht einmal mehr die Türen hinter sich schließt.
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