Regisseur Lorenzo Fioroni und Dirk Kaftan am Pult des Beethoven Orchesters Bonn deuten Schönbergs Moses und Aron in Bonn als bildgewaltigen Kampf zwischen zwei Prinzipien, verkörpert von den biblischen Brüdern.
Von Klaus Kalchschmid
Jede Inszenierung von Arnolds Schönbergs unvollendet gebliebenem Opernoratorium muss eine Haltung finden zum „Tanz um das Goldene Kalb“ mit seiner suggestiven (beinahe Film-)Musik zum „Tanz der Schlächter“, dem Suizid von alten und dem Mord an jungen Menschen; dazu als Höhepunkt eine „erotische Orgie“ mit der buchstäblichen Heiligsprechung von Zeugungskraft, Fruchtbarkeit und Lust. Man kann sich optisch verweigern oder die minutiösen Szenenanweisungen wörtlich nehmen, was schnell unbeholfen und peinlich aussehen kann. Lorenzo Fioroni geht einen dritten Weg und zeigt den wahnsinnig gewordenen Moses splitternackt in einem weißen Kasten, wo er mit schwarzem Sand und allerlei Gegenständen um sich wirft oder den zunehmend farbverschmierten Körper auf Schaumgummi presst und damit die Wände seiner Gummizelle bedruckt. Auf sie schreibt er O und A, also Alpha und Omega, als Symbol für Anfang und Ende (der Welt und des Universums).
Wenn er – nun im modernen Anzug, den Kopf noch immer dunkel verschmiert – im existentiellen Dialog mit Aron schreit: „So zertrümmere ich diese Tafeln und will Gott bitten, dass er mich von diesem Amt abberuft“, dann schlägt er sich mit beiden Fäusten auf den Brustkorb. Das wirre, wüste Body-Painting war ein Ringen mit sich selbst, mit seinen Dämonen, mit dem Glauben an die reine Lehre, die keine Vermittlung braucht, und mit der Hybris, vermeintlich zu wissen, was der Wille Gottes ist, letztlich aber auch mit dem Allmächtigen selbst.
Der finale Monolog von Moses nach dem letzten Ringen in Worten, aber auch ganz physisch mit Aron, der auf seiner Maxime der sinnlichen Vermittlung beharrt, beginnt deshalb: „Unvorstellbarer Gott! Unaussprechlicher, vieldeutiger Gedanke!“ und endet: „O Wort, du Wort, das mir fehlt!“ über großer, schmerzvoller Geste der Streicher. Mit dem Ende dieses zweiten Akts, bereits 1932 komponiert, bricht Schönbergs Vertonung ab. Erst 1937 schreibt er in Amerika das Libretto für den dritten Akt, an dessen Ende der Tod Arons gestanden hätte. Doch in den folgenden 14 Jahren wird er bis zu seinem eigenen Tod 1951 keinen einzigen Takt Musik hinzu komponieren.
Dietrich Henschel ist das Zentrum dieses Abends, sei es, dass er mit Gesichtsmaske inmitten von Pappmaché-Felsen und im Wind wackelnden Palmen seine ersten Worte singt, sei es, dass er im Puppentheater mit Aron ringt oder später mit ihm auf dem Boden. Wie sonst nur Schauspieler, etwa einst Rolf Boysen, artikuliert Henschel den Sprechgesang Schönbergs, der stets ein rhythmisiertes Sprechen auf Tonhöhe vorsieht, ohne jeden Anflug von Singen. Das setzt ihn vom belcantistischen Tenor eines Martin Koch größtmöglich ab, der mit weißglühender Intensität den Kommunikator Aron singt und spielt, der den Gedanken fasslich machen will und sei es durch Wunder wie die Verwandlung von Wasser in Blut oder eines Stabs in eine Schlange.
Auch Lorenzo Fioroni ist überzeugt, dass nur Bilder und große Gesten ein ganzes Volk – oder Publikum – überzeugen können. Auf der Bühne von Paul Zoller handelt es sich um Menschen des späten 19. Jahrhunderts mit Gehrock, Zylinder und Backenbart oder Frauen mit mächtigen Frisuren, eng geschnürtem Mieder und Tournüren. Auf dem Weg in die Wüste entledigen sie sich mit dieser schwarzen Kleidung auch der Fesseln der Zivilisation und tragen nur noch, allerdings üppige, edle weiße Unterwäsche (Kostüme: Sabine Blickenstorfer). Auf Großleinwand erscheinen gewaltige Vipern und Nattern, Schafe aus Pappe und weiterer Mummenschanz. Dabei besitzt das Volk, das die beiden Brüder herausfordert und unter Druck setzt, eine irritierende Macht des Singens. Diese Intensität und Angriffslust unterstreichen Männer wie Frauen des exzellenten Chors der Oper Bonn und des Vocalconsort Berlin mit einer Mimik und Gestik, die Wort und Gesang zusätzlich Nachdruck verleiht. Auch die zahlreichen kleinen Soli und solistischen Ensembles sind hervorragend besetzt, denn lupenreine Intonation ist in dieser strengen Zwölfton-Oper die Grundvoraussetzung für ein Gelingen des Ganzen.
Auch das Beethoven Orchester Bonn spielt unter Leitung seines Chefdirigenten Dirk Kaftan phänomenal präzise und zugleich ausdrucksstark. Denn nur wenn man die strenge, herbe Partitur mit sinnlichem Leben füllt, die Phrasen expressiv modelliert, die Rhythmen ebenso schärft wie die Harmonien, wird aus dem komplizierten Notentext packendes Musiktheater.