In Dvořáks Rusalka in Amsterdam erzählt Regisseur Philipp Stölzl in krachigen Bonbonfarben von der Kälte der Welt, während Joana Mallwitz die Partitur auf bittere Weise zum Glühen bringt.
Von Manuel Brug
„Die Nymphe Rusalka hat eine Liebschaft mit dem ortsansässigen Prinzen. Deshalb empfindet sie ihren Unterleib als unzweckgemäß. Doch dem Prinzen ist nicht nach Fisch. So plumpst Rusalka – mit Schwanz – als Verflossene in den Teich zurück und erfreut uns mit dem ,Lied an den Mond‘ auf Tschechisch. Aber so viel Tschechisch werden Sie ja wohl verstehen!“ – Man kann die traurig-romantische, naturselige Märchenoper Antonín Dvořáks natürlich so spaßig kleinmachen, wie das eben nur Loriot vermochte. Oder man kann – sehr modisch – eine aufrichtig-besorgte Ökomoritat vom ölverseuchten Teich und sich fremdgewordenen Waldwesen erzählen. Oder man psychologisiert sich eins und legt die #MeToo-geschädigte Rusalka auf die beinharte Freud-Couch. Oder man sucht darin Entertainment und Fantasy, will aber trotzdem anrühren und zwischen krachigen Bonbonfarben von der Kälte in der Welt erzählen. So wie das jetzt Philipp Stölzl, diesmal wieder im Regie-Tandem mit Philipp M. Krenn, an der Amsterdamer Dutch National Opera zur Eröffnung des Holland Festivals erfolgreich getan hat.
Die tschechische Waldnymphe ist in den letzten 20 Jahren mit Vehemenz aus ihrem Mauerblümchendasein als Schattengewächs des Repertoires auferstrahlt. Diese unterkühlt-zärtliche Kindfrau, die sich als Titelfigur eines tönenden Undinenkunstmärchens nach menschlicher Liebe sehnt und sich dafür sogar bei der Hexe Ježibaba anstelle ihres Fischschwanzes Beine verschafft – um den Preis des Verstummens –, sie trifft irgendwie einen Zeitgeist-Nerv: als ein seiner selbst nicht mehr sicheres Geschöpf mit einer großen Sehnsucht nach dem anderen, die sich nicht erfüllt und die für ihren gefühlskalten Menschenprinzen im Kuss tödlich endet. Längst lieben sie die Regisseure, Dirigenten, Sänger und auch das Publikum. Obwohl sie auf der Opernbühne kaum mehr so aussieht, wie man sich ein neugierig-naives Teichnymphchen aus mährischen Märchenwäldern vorstellt. Nicht selten – etwa bei Stefan Herheim oder Wieler/Morabito – mutiert sie zur nüchternen Nymphe anderer Art: „Grabennymphe“ sagte man einst in Wien, „Bordsteinschwalbe“ sonst – ein käufliches Mädchen eben, das seine Kunst meistbietend verhökert.
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