Seit 1961 ist Wagners Ring des Nibelungen erstmals wieder szenisch in Rom zu erleben, doch nicht im Opernhaus, sondern – auf Wunsch ihres neuen Orchesterchefs Daniel Harding – im Konzertsaal der Accademia Nazionale di Santa Cecilia. Los geht es am 23. Oktober mit der Walküre. Wir haben mit Vincent Huguet gesprochen, der die Regie übernehmen wird.
Interview: Stephan Schwarz-Peters
Wagner Ring des Nibelungen in einem Konzertsaal zu machen, klingt nach einer Herausforderung. Wie vertraut sind Sie mit dem 2002 eröffneten Auditorium der Accademia Nazionale di Santa Cecilia, dass Sie sich dieses Wagnis zutrauen?
Ich kenne Rom, ich liebe die Stadt und bin häufig dort. Den Saal der Accademia kenne ich sehr gut, und ich finde, Renzo Piano hat hier den schönsten Konzertsaal Europas gebaut – neben der Berliner Philharmonie, die wirklich der Hammer ist und aus der ich auch Inspiration mit nach Rom genommen habe.
Wird es eine volle oder nur halbszenische Umsetzung des Rings geben?
Vom Konzept „semi-staged“ halte ich persönlich nicht allzu viel, denn meistens bedeutet der Begriff nichts anderes als „Regie ohne Geld“. Manchmal funktioniert das, wenn es etwa nur darum geht, Dinge anzudeuten, mit Bewegungen, Licht und ein paar Requisiten. Beim Ring kommt man damit aber nicht weit, hier ist alles so groß und bedeutsam, dass man es nicht einfach unter den Teppich kehren kann. Auch für Daniel Harding, der mit der Walküre seine zweite Saison als Chefdirigent des Orchestra dell’ Accademia Nazionale di Santa Cecilia beginnt und in Zukunft viel bewegen möchte, war es wichtig, dass wir hier etwas „Echtes“ machen – und keine halben Sachen.
Aber wie funktioniert das praktisch in einem Konzertsaal, der ja ganz andere Voraussetzungen mitbringt als ein Opernhaus?
Mit Pierre Yovanovich, dem Bühnenbildner, haben wir uns vorab angeschaut, welche Möglichkeiten es gibt. Dabei haben wir festgestellt, dass sich der Raum nicht nur für Musik eignet, sondern auch für vieles andere mehr. Tatsächlich wird es ein „echtes“ Bühnenbild geben, vielleicht sogar größer als in einem normalen Theater, denn hier sind wir nicht durch das Proszenium, den durch einen Rahmen gefassten Guckkasten beschränkt. Unser Bühnenbild wird stattdessen Teil der Globalarchitektur sein. Ein weißer Palazzo, der an kaltes Material denken lässt, an Eis oder Marmor, und einen wunderbaren Kontrast bilden wird zu den warmen Farben des Holzes und der Stoffe, die Renzo Piano für diese Philharmonie verwendet hat. Tatsächlich ein bisschen wie Walhall, das ja auch etwas „verrückt“ in eine waldreiche Landschaft hineingebaut wurde.

Das Bühnenbild wird permanent zu sehen sein?
Ja, denn einen Vorhang haben wir ja nicht. Das hat aber auch ein paar andere schöne Nebeneffekte, die wir szenisch nutzen und in die Handlung miteinbeziehen können. Wie das Orchester z.B., das nicht im Graben sitzt, sondern zu den Füßen der Sänger. Für mich symbolisiert es ganz klar den Rhein, der so immer sichtbar ist als Teil der Szene. An seinem Ufer befindet sich auch jener weiße Palast, den wir gebaut haben. Besonders stark ist der Bezug zum Rhein natürlich in der Götterdämmerung und im Rheingold, aber auch in den anderen Teilen der Tetralogie rauscht er ein bisschen mit. Auch die Auftritte lassen sich durch diese Gesamtperspektive wunderbar gestalten – und das ganz im Sinne Wagners. Gerade in der Walküre, in der es ja nun wirklich nicht so zugeht wie im Boulevard-Theater, wo jemand eine Tür aufreißt und auf einmal im Raum steht. Hier können sich die Sänger Zeit nehmen für ihren Auftritt, den Raum durchschreiten, wie es ja auch im „echten“ Leben ist. Konkret könnte das so aussehen, dass man Wotan schon fünf Minuten vorher sieht, bevor er anfängt zu singen und in einen Dialog, etwa mit Brünnhilde, tritt.
Wird das Bühnenbild selbst viel Raum einnehmen im Saal?
In der Tat steht hier gar nicht so viel Platz dafür zur Verfügung. Aber auch das sehe ich als Chance für den Ring. Denn die Bühnenbilder auf einer normalen Bühne sind meist so riesig, dass die Intimität der Dialoge verloren geht. Aber die machen nun einmal den Hauptteil der Handlung aus. Natürlich gibt es Szenen wie am Anfang des dritten Walküre-Akts oder manches im Rheingold, wo auf einmal viele Leute in Erscheinung treten. Aber das macht vielleicht maximal eine Stunde im Gesamtzusammenhang aus. Der Rest besteht aus Dialogen, und im kleineren Rahmen kann ich mich hier viel besser darauf konzentrieren. Mit großen Effekten können wir in einer Philharmonie ohnehin nicht arbeiten, von daher streben wir eine im besten Sinne des Wortes minimalistische Inszenierung an.
Momentan befinden sich von Berlin bis Mailand, von Paris bis London und München unterschiedliche Versionen der Tetralogie im Werden. Ist der internationale Ring-Reigen erst komplett, wenn er auch in Rom gezeigt wird?
In Rom ist der Ring etwas ganz Besonderes, denn tatsächlich wurde er hier seit 1961 nicht mehr aufgeführt – das sind sechseinhalb Jahrzehnte! Nicht nur weil dieses Ereignis so außergewöhnlich ist, sondern auch die Stadt, war es mir wichtig, in meine Inszenierung Bezüge einzubauen und deutlich zu machen. Die Parallelen zwischen Handlung und römischer Geschichte sind ohnehin verblüffend, das fängt schon im ersten Akt Walküre bei Siegmund und Sieglinde und dem von der römischen Wölfin gesäugten Zwillingen Romulus und Remus an. Auch der Palast, in dem wir alle Teile des Rings spielen lassen, weckt Erinnerungen an historische Bauwerke Roms, die vielleicht von den alten Römern errichtet wurden, dann zerstört und in der Renaissance wieder auf- und umgebaut wurden. Später taucht dieser Monumentalstil dann wieder bei den Faschisten unter Mussolini auf. Der Ort bleibt, die Zeiten gehen, und wie die Handlung des Rings ist auch die Geschichte ein Zyklus. Das sieht man in Rom ja ganz besonders deutlich.

Wie Ihr Ring in seinen einzelnen Teilen also auch „durch die Zeit“ geht?
Genau so ist es. Und hier sind wir wieder in Rom, das zu den wenigen Städten gehört, die jemals Hauptstadt dreier Reiche waren. Zunächst natürlich in der Antike, dann später unter den Päpsten Hauptstadt der Kirchenstaats und der gesamten katholischen Welt. Und vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg, Zentrum eines Reiches mit außereuropäischen Kolonien. Für mich war das ein wesentlicher Schlüssel für die Dramaturgie und das gesamte Konzept. Wir werden im Oktober 2025 mit der Walküre beginnen. Zwischen dem Siegfried im kommenden Jahr werden dann ein paar Jahrhunderte vergangen sein, mit Anklängen an die Renaissance. Bis zur Götterdämmerung werden dann wieder rund 500 Jahre vorüber sein.
Und welche Geschichte möchten Sie anhand dieser zeitlichen Abfolge erzählen?
Das Unglaubliche am Ring ist ja, dass er für jede Generation eine eigene Geschichte bereithält. Ein bisschen wie bei der Mona Lisa, von der man immer sagt, sie lächele einen aus jeder Perspektive an, egal wohin man sich bewegt. Für mich ist Wotan das Zentrum dieses Werks, seine Gedanken und sein Handeln als Gründer eines Imperiums. Wagner hat den Ring konzipiert in einer Zeit, in der durch Kolonialisierung viele Weltreiche errichtet wurden, aber auch europäische Kaiserreiche, und hat die Begleiterscheinungen sehr genau erfasst und beschrieben. Wo andere in Ruhm- und Begeisterungstaumel aufgegangen sind, setzt er als Antwort die Geschehnisse im Rheingold entgegen: Hier wird gezeigt, wie ein Imperium eigentlich entsteht, nämlich durch Lüge, moralische Verfehlungen und Vertragsbruch. Wotan weiß um diese Fehler, doch er hat die Hoffnung, dass irgendwann im Laufe der vielen Jahrhunderte einer kommt, der sie korrigieren kann. Doch stattdessen werden die Fehler nur von Generation zu Generation weitergegeben. Das möchten wir exemplarisch an den Epochen, die ich genannt habe, zeigen.
Und das Heute?
…hängt unmittelbar damit zusammen. Wir müssen uns doch nur anschauen, was derzeit in den USA, in Russland oder China passiert. Um uns herum streiten sich diese drei großen Imperien, während das kleine Europa auf einmal als Zuschauer daneben sitzt. Wenn ich vor diesem Hintergrund Nachrichten lese oder im Radio verfolge, beschäftigen mich oft die gleichen Dinge, wie wenn ich an Wagner denke.
Fehlt allerdings noch der Anfang, das Rheingold, das erst zum Abschluss der Tetralogie 2028 folgen wird.
Diese Reihenfolge war die Idee von Daniel Harding. Ich finde sie großartig, und es hat ja auch viel mit den Erzählweisen zu tun, die wir heute aus dem Kino, beispielsweise aus der Star Wars-Saga oder von Serien wie Game of Thrones, kennen. Das Prequel, in dem man hinterher – sozusagen als Auflösung – erfährt, was eigentlich zu der Geschichte geführt hat.
Wenn man den zyklischen Charakter des Rings ernstnimmt, könnte dieser Abschluss allerdings auch der Vorabend zu einer neuen Ereigniskette sein, einer neuen Abfolge von Walküre, Siegfried und Götterdämmerung mit anderen Figuren.
Auch das wäre zu überlegen. Wir werden sehen, wie sich die Dinge entwickeln und wohin sich das Konzept bewegen wird. Auf jeden Fall möchte ich das Rheingold im Heute ansiedeln. Als Prolog hat es ohnehin eine herausgehobene Stellung im Gesamtzusammenhang. Im Jahr 2028 wird sich bei der Gesamtaufführung zeigen, wie es sich fügt – und gewiss wird, wie bei jeder zyklischen Aufführung, die Kontinuität der Ereignisse deutlicher werden, als wenn zwischen den einzelnen Teilen ein Jahr vergangen ist. Jedenfalls werden wir den Zyklus in Rom zweimal komplett aufführen, einmal mit dem Rheingold am Anfang und einmal am Ende. So ist zumindest der Plan.









