Beim Sommergastspiel der römischen Oper in den Caracalla-Thermen werden Bizets Carmen und Rossinis Barbiere an einen tristen mexikanischen Grenzübergang bzw. nach Hollywood verlegt. Gesungen wir dabei ganz vorzüglich.
Von Katharina Stork
Carmen
„Tutto dritto e a sinistra“, heißt es am unscheinbaren Kartenhäuschen, das am Eingang zu den Terme di Caracalla in Rom steht. Geradeaus, dann links abbiegen, begleitet von Lärm der Zikaden, vorbei an Ruinen und unter hohen Pinien hindurch. Am Ende des Weges liegt die Open-Air-Spielwiese des Teatro dell‘Opera di Roma, das hier 2022 sieben Produktionen aus den Sparten Ballett, Oper und Konzert bietet. Carmen von Georges Bizet wurde unter der Regie der Argentinierin Valentina Carrasco schon im Jahr 2017 erarbeitet, ist in ihrem Interpretationsansatz jedoch gut gealtert. Die Geschichte um die Zigarettenarbeiterin und den Sergeanten Don José ist nicht in Andalusien angesiedelt, sondern an der Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko.
Carrasco lässt ihre Carmen nur um ein einziges Wort kreisen: liberté. Und ihre Darstellerin Veronica Simeoni hat genauestens verstanden, worauf die Regisseurin hinaus will. Darum ist ihr erster Auftritt keineswegs ein inszeniertes Schaulaufen vor gierenden Männern. Nein, Carmen kommt erschöpft aus der Fabrik, schleppt noch ein paar Zigaretten-Kisten mit und tritt beinahe geistesabwesend auf den Vorplatz, der Souvenir-Ramsch, Tequila und Soldatenpräsenz vereint. In der „Habanera“ geht es an diesem Abend nicht um die sexuell aufgeladene Wirkung der Titelfigur, es geht um Liebe und Freiheit. Carmen führt sie zusammen: Männer und Frauen, Frauen und Frauen, Männer und Männer. Das alles mit einem so wandelbaren Mezzosopran, dass ihre Auffassung der Figur klar durch alle Noten dringt. Sie vereint in ihrem Timbre Dunkelheit und Licht, und all die Anziehungskraft, derer sich Carmen hier nicht vollends bewusst ist, kommt aus diesem kompromisslosen Beharren auf Selbstbestimmtheit – obwohl sie eine Frau in einem männerdominierten und gewaltgeprägten Umfeld ist.
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