Benedikt von Peter mischt für Luigi Nonos Intolleranza 1960 am Theater Basel Bühne und Zuschauerraum und verwickelt das Publikum in die Polithandlung dieser azione scenica: Wann hat man Text und Aussage je so klar verstanden, wie könnte man die Musik direkter erfahren?
Von Tobias Gerosa
Die Sitzreihen im Theater Basel sind weiß verhängt, nur Taschenlampen des Einlasspersonals erhellen den Raum: Hinsetzen unmöglich. Von ferne weht der sehnsuchtsvolle und nach Liebe und Wärme suchende Eingangschor herein: „Lebendig ist, wer warm bleibt … und nicht aufhört zu lieben.“ Dann öffnet sich der Eiserne Vorhang und gibt den Blick frei auf die schwarze Bühne (Katrin Wittig). Das ganze Publikum wird auf die Bühne gebeten und verteilt sich auf Stühlen, Kissen und Podesten zwischen den schon Anwesenden: dem famos singenden und spielenden Chor des Theaters Basel und den Solisten. Hinter dem letzten Besucher schließt sich der Eiserne Vorhang: Man ist eingeschlossen.
Woher kommt eigentlich der Klang, der sich zwischen Elektronik, Geräuschhaftem, sehr Leisem und gewaltigen Ausbrüchen bewegt? Man badet förmlich darin: Das Sinfonieorchester Basel unter Stefan Klingeles umsichtiger Leitung ist unter der Bühne und damit direkt unter den Zuschauern platziert – ein Gitterboden macht den Klang in einer völlig ungewohnten, sehr körperlichen und hinreißenden Art erfahrbar (man stehe einmal anderthalb Meter über vier Kontrabässen!). Schlagwerk und Blech sind weit oben auf den Beleuchterbrücken platziert. Und weil man buchstäblich auf Tuchfühlung mit den Sängerinnen und Sängern auf der Bühne steht, ist es unmöglich, in einer reinen, geschützten Zuhörerrolle zu bleiben. Man ist mittendrin – zu Corona-Zeiten wäre das undenkbar gewesen.
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