Auf seinem neuen Album erinnert Michael Spyres an das vergessene Fach des „Baritenors“. Im Interview spricht er über die Geschichte des Tenorgesangs – und was seine Stimme mit Puppenspielen zu tun hat.
Interview: Uwe Friedrich
Wenn jemand Mozarts „Il mio tesoro“ so brillant singen kann wie Sie bei den Salzburger Festspielen, sollte man meinen, es mit einem Tenor zu tun zu haben. Nun singen Sie auf ihrer neuen CD auch Baritonarien. Haben Sie gar keine Angst, Intendanten und Publikum zu verwirren?
Klar habe ich diese Angst. Aber ich musste es einfach machen, denn erst in den letzten 80 bis 100 Jahren ist das Stimmfach des Baritenore verschwunden. Enrico Caruso hat den neuen Tenortypus etabliert und damit alles andere an den Rand gedrängt. Dabei haben in allen Jahrhunderten davor viele Männer die Bariton- und Tenorrollen nebeneinander gesungen. Der legendäre Manuel García war der erste Graf Almaviva in Rossinis Il barbiere di Siviglia, aber auch in Mozarts Le nozze di Figaro und ein gefeierter Don Giovanni. Es geht also, viele andere Männer vor mir konnten es, es hat nur in den letzten Jahrzehnten kaum jemand gemacht.
Die Schubladen der Sängerfächer werden immer kleiner, die Spezialisierung anscheinend immer wichtiger. Einem Heldentenor traut heute niemand mehr einen Rigoletto-Herzog zu, während Helge Rosvænge ihn noch ganz selbstverständlich gesungen hat. Sie scheinen unbekümmert alles durcheinander zu singen. Wie sinnvoll ist die Einordnung in Gesangsfächer?
Ich habe die Arien für die CD nicht zufällig ausgewählt. Ich habe mir genau angeschaut, welches Repertoire jene Sänger hatten, die im Laufe ihrer Karriere vom Tenor zum Bariton wechselten oder umgekehrt. Der Tenor, für den Donizetti „Ah! mes ami“ aus La fille du régiment komponierte, hat kurz nach dem Premierenerfolg seinen Fachwechsel zum Bariton begonnen. Die nächsten 20 Jahre sang er nur noch Baritonpartien. Für den Tenor, der in Ètienne-Nicolas Méhuls Ariodant den Edgard gesungen hat, schrieb der Komponist später Basspartien. Stimmen entwickeln sich. Die Stimme macht das Fach, nicht umgekehrt. Es ist eine unnötige Einschränkung zu glauben, dass jeder Sänger in eine dieser Schubladen passen muss.
Jetzt weiterlesen!
Dies ist Premiummaterial. Testen Sie unsere Angebote, um den gesamten Artikel zu lesen.
Abonnieren
Das aktuelle gedruckte Heft jetzt bestellen oder komplett online lesen!Jetzt mit wenigen Klicks zum OPER!-Inhalt
Ausprobieren
Zwei ausgewählte Artikel kostenlos lesen? Dann registrieren Sie sich hier!In dieser Ausgabe kostenlos: