LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
Genau 20 Jahre ist es her, da stand die Existenz der drei Berliner Opernhäuser auf der Kippe. In der notorisch klammen und ewig zuwendungsbedürftigen Hauptstadt war die Not mal wieder besonders groß. Vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage wurde über Wochen hinweg eine breite öffentliche Diskussion über Sinn und Zweck der Musiktheater geführt. Braucht das neue, wiedervereinte Berlin wirklich drei Opernhäuser, würden zwei nicht auch reichen? Doch welches soll geschlossen werden? Die Deutsche Oper, einst pulsierendes Opernzentrum West-Berlins und darüber hinaus internationales Vorzeigehaus der ganzen Vorwende-Bundesrepublik? Die Staatsoper Unter den Linden, das Pendant im Osten? Oder gar die weit über die Berliner Mauer hinweg bekannte Komische Oper?
In dieser ideologisch aufgeheizten Debatte wollte sich kein Politiker die Finger verbrennen. So schien die Gründung einer Opernstiftung, für die sich die damals amtierende parteilose Kulturstaatsministerin Christina Weiss stark machte, wie die Lösung des Gordischen Knotens. Unterstützt vom Bund war unter einem gemeinsamen Stiftungsdach die Zukunft des Vorhandenen vorerst gesichert. Die Geburtsstunde einer klangvollen Institution mit drei prestigeträchtigen Häusern in der europäischen Boomtown Berlin! Kein Name war für den neu zu besetzenden Posten des Generaldirektors zu groß, der Suchradius selbstredend international, Gerard Mortier reiste wiederholt zu Gesprächen an. Die Öffentlichkeit diskutierte, die Presse war voller Mutmaßungen, Kommentare und durchgestochenen Informationen.
Dann die Ernüchterung. Ob der Machtlosigkeit der Position des Stiftungsdirektors interessierte sich niemand mehr von Rang dafür. Denn die drei Häuser sollten künstlerisch weiterhin eigenständig bleiben, die Stiftung nur als Finanz-Stützrad dienen und aufpassen, dass es mit den Werk-Doubletten und -Tripletten nicht überhandnimmt.
Mit Letzterem klappt es bis heute nicht. Und angesichts der Kraft, die Berlin mit drei Opernhäuser eigentlich haben könnte, ist die künstlerische Vielfalt unverändert eine ziemliche Wüste. Große Teile des Repertoires bleiben völlig unberücksichtigt, während die Schnittmenge der Stücke, die alle spielen, unverändert viel zu groß ist. Die Berliner Opernlandschaft krankt bis heute am fehlenden Masterplan, in dem alle drei Häuser zusammengedacht werden.
Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Schlüsselpositionen werden isoliert vergeben, Intendanten-und Generalmusikdirektorenverträge laufen zeitlich asynchron, was echten Neuanfängen entgegensteht, und Stellenbesetzungen finden quasi nebenbei und im Stillen statt. Es heißt zwar, es gäbe Findungskommissionen, doch könnte es sich genauso gut um telefonische Umfragen vom Beamtenschreibtisch aus handeln. Alles ist irgendwie egal, irgendeiner wird den Job schon machen. Ganz bestimmt. Doch kümmert sich noch jemand um Maßstäbe? Kümmert es überhaupt irgendwen, von wem die Oper in Berlin verantwortet wird? An der Staatsoper ist gerade Elisabeth Sobotka zur Nachfolgerin des in Ungnade gefallenen Matthias Schulz gewählt worden, sie war lange Zeit im Rat der Opernstiftung, hat an dem Haus schon gearbeitet und kennt Daniel Barenboim. Sie ist also fast eine hausinterne Lösung. Für die Deutsche Oper Berlin soll bereits bis Ende des Jahres ein Nachfolger für den 2025 scheidenden Intendanten Dietmar Schwarz gefunden werden. Die Berliner Presse wartet derweil in Gleichgültigkeit auf vollendete Tatsachen. Bis 2027 laufen noch die GMD-Verträge von Donald Runnicles und Daniel Barenboim. Und dann? Geht alles wieder von vorne los. Aber es ist ja nicht so, dass man nichts tun würde, man wurschtelt sich halt so durch. In Ordnung ist das allerdings nicht und längst reformbedürftig.
Schlechte Aussichten gibt es also für Berlin zu vermelden, sehr positive dagegen für den bevorstehenden Sommer, in dem nicht nur Bayreuth, Salzburg und Aix-en-Provence echte Wunderpakete geschnürt haben, die ihren Versprechungen hoffentlich gerecht werden. Auch in den letzten Saison-Wochen gab es viel Großartiges zu bestaunen, gerade jenseits der üblichen Zentren. Doch lesen Sie selbst in der vorliegenden Ausgabe.
Ich wünsche Ihnen eine erholsame Sommerpause und eine anregende Lektüre!
Herzlich
Ihr
Ulrich Ruhnke