Die niederländische Regisseurin Jetske Mijnssen debütiert mit Gaetano Donizettis Anna Bolena in der Hauptstadt ihres Heimatlandes. Mehr als die Inszenierung begeistert aber die Titelinterpretin.
Von Uwe Friedrich
Königin ist Anna Bolena schon zu Beginn von Gaetano Donizettis Oper nur dem Namen nach, den Rang in der Gunst Enricos VIII hat ihr längst die Freundin und Rivalin Giovanna Seymour abgelaufen. Spätestens wenn Giovanna im Unterkleid aus den Gemächern des Königs kommt, ist klar, dass er Anna zugunsten der neuen Geliebten aus dem Weg räumen wird. Für diese traurige Geschichte hat der Bühnenbildner Ben Baur eine Palastgruft mit verschiebbarer Rückwand entworfen. Immer neue Türen definieren ein kleines Privatkabinett oder den Repräsentationssaal, in dem schließlich das Gericht tagt, das die Glücklose auf Weisung ihres Gatten zum Tode wegen Hochverrats verurteilen wird. Die Geschichte aus der englischen Tudor-Zeit musste gar nicht sonderlich verbogen werden, um für eine Belcanto-Oper zu passen. Primadonna und beste Freundin, Tenor und bester Freund, dazu ein Bösewicht und eine jugendliche Hosenrolle, sie alle konnten vom Librettisten Felice Romani in eine glaubhafte Dramaturgie eingebettet werden, und die Regisseurin Jetske Mijnssen hat sich für ihre Inszenierung an der Amsterdamer Oper dafür entschieden, das melancholisch verhangene Psychogramm nur leicht anzuschärfen. Dazu fügt sie die Tochter von Anna und Enrico hinzu, die spätere Königin Elisabeth I., die wiederum in den Donizetti-Opern Maria Stuarda und Roberto Devereux eine entscheidende Rolle spielt. Hier ist sie noch ein kleines Kind, das staunend zuschauen muss, was ihre Eltern sich antun.
Erst in der Wahnsinnsszene im Finale weitet sich der düstere, enge Palast zu einem tiefen Raum, zuvor wird die Breite des Spielraums betont, in dem die Regisseurin die Protagonisten klug verteilt. Annäherung und Entfernung zwischen Giovanna Seymour und der zunächst vertrauensseligen Anna Bolena werden ebenso sinnfällig wie die Leidenschaft des früheren Geliebten Riccardo Percy, der durch seinen Überschwang den Anlass für die ohnehin geplante Beseitigung der Königin geben wird. Wenn die übergroßen Palasttüren geöffnet werden, sind wahlweise Nebel oder Folteropfer zu sehen. Das ist nicht immer subtil, gelegentlich auch unfreiwillig komisch, wenn beispielsweise Enrico im ersten Finale einen riesigen Plüschhirschen ausweidet, der zunächst unter Gelächter im Zuschauerraum von Statisten auf die Bühne getragen werden muss. Das überdimensionierte Kuscheltier hätte gut weggelassen werden können, ebenso wie die überflüssigen Choreografien Lilian Stillwells, die eine Handvoll Tänzerinnen und Tänzer so konventionell führt wie den Chor, der während der Wahnsinnsszene die inzwischen vergrößerte Spielfläche bevölkert. Dabei wäre gerade in diesen Szenen der leere Raum weitaus beeindruckender gewesen. Immer wenn Jetske Mijnssen ihrer eigenen Kunstfertigkeit der Zurückhaltung misstraut, setzt sie auf plakative Bilder, überschüttet die Folteropfer im zweiten Opernteil mit Theaterblut, lässt den Chor sinnfrei umherhopsen oder die kleine Elisabeth über eine Stuhlreihe tänzeln, statt ihre dadurch beinahe verdeckte Personenzeichnung wirken zu lassen.
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