Die Deutsche Oper Berlin zeigt Rued Langgaards musikalisch bunte wie esoterisch verschachtelte Oper Antikrist. Ersan Mondtag sprüht die in knallig-laute Farben an.
Von Roland H. Dippel
„Das Werk ist immer klüger als sein Autor und Komponist,“ sagt man gern bei Kulturgrößen wie Richard Wagner & Co. Das gilt auch für Inszenierungen. Ersan Mondtags Sicht auf die nicht ganz grundlos erst 1999 uraufgeführte Oper Antikrist ist schrill, bunt und bleibt trotz der zugegebenen Inspiration durch Christopher Nolans Film Inception (2010) in der flächig gemalten und bunt strotzenden Ästhetik der 1920er-Jahre verhaftet. Dieses Bühnenbild und Mondtags Kostüme, bei denen er sich mit Unterstützung von Annika Lu Hermann an den Höllenunwesen der spätgotischen Malerei orientierte und sie kräftig in Rainbow Colours einsprühte, sind laut und knallig. Wenn dann noch ein gemaltes gelbes Taxi mit dem Werbebanner „Apokalypse Now!“ vom Himmel stürzt und über der metropolitanen Walpurgisnacht schwebt, kann es sich eigentlich nur um einen Ford Escort handeln.
Das von Mondtag zeitgemäß genderfluid aufbereitete Anti-Bühnenweihfestspiel von Rued Langgaard (1893-1952) spielt laut Textbuch in der Gemeinde „Lärmes-Kirchen-Läuten“ – oder so ähnlich. Man denkt an ein apokalyptisches Schilda aus der Entstehungszeit um 1922 – angesiedelt zwischen dem Berlin Mynonas, dem Prag Gustav Meyrinks und dem toten Brügge von Georges Rodenbach. Spießertum, Menschheitsdämmerung und eine aus populärwissenschaftlichen Schriften angelesene Esoterik sind die Ingredienzien, mit denen Langgaard den Zeitgeist-Nagel auf den Kopf traf. Luzifer und Gott vereinbaren eine die Menschheit sowohl schädigende als auch reinigende Wette – man kennt es ja. Im aufgesexten Getümmel kommt es zu kritisierten und doch plakativ zelebrierten Ausschweifungen – auch das kennt man. Der herabschwebende Heiland am Kreuz hat eine Vulva, die große Mutter-Hure-Heilige im Gegenzug ein Gemächt. So kennt man das, zumindest auf breiter Basis, noch nicht.
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