Das Festival d’Aix-en-Provence präsentiert mit seinem aktuellen Jahrgang einen prallvollen Opernsommer. Die sechs Neuproduktionen halten dabei zahlreiche große Opernmomente bereit.
Von Manuel Brug
Seit 2018 Chef des Festivals d’Aix-en-Provence, will es Pierre Audi wirklich wissen. Klar, schon seine Vorgänger Stéphane Lissner (1998-2006) und Bernard Foccroulle (2007-20017) haben die gemächlich-glamouröse Musikfestivität im herrlich sommerlich vor sich hindämmernden französischen Midi aufgemischt und neu aufgestellt. Aber der versierte, in Beirut, Paris und London aufgewachsene Audi, ein polyglotter Big Player im Opern- wie Theaterbusiness, will hier, in der Provence, wo immer schon sich vieles kulturell wie menschlich mischte, einen kreativen Hot Spot entstehen lassen. Und so sind es nicht nur pandemiebedingte Verschiebungen, die die Premierenanzahl auf inzwischen sechs neue Musiktheaterwerke in nur fünf Tagen hat anschwellen lassen. Audi sucht und findet neue Spielorte, und er möchte auch die zweite Hälfte der knapp dreiwöchigen Festspiele aufwerten, indem er dort verstärkt ebenso qualitätsvolle wie ungewöhnliche Konzerte und konzertante Opern programmiert.
Das soll – die verschobenen Titel sind jetzt alle „abgearbeitet“ – unbedingt auch so weitergehen. Natürlich war diesen Sommer, zum 75. Aix-Jubiläum, mit der ebenfalls schon 1948 am traditionellen Premierenort Cour de l’Archevêché gespielten Così fan tutte die obligatorische Mozart-Oper gesetzt. Nächstes Jahr gibt es dann eine Mozart-Pause, dafür soll es einen Barockschwerpunkt mit gleich drei ebenso vielversprechenden wie außergewöhnlichen Produktionen geben. Auch Uraufführungen sind in Aix längst obligatorisch, die große Oper wird aber ebenso wenig vergessen. Und Pierre Audi ist zudem jemand, der die Zukunft der Gattung Musiktheater mit immer neuen Formaten austestet – gerade in einem solchen de-Luxe-Rahmen, wo auch Experimenten eine ganz andere Aufmerksamkeit zuteil wird.
The Faggots and Their Friends Between Revolutions
So wie etwa in der Black Box des Tanzhauses für die Residenz-Tanzkompanie Preljocaj der Stadt Aix, gleich neben dem Grand Théâtre. Dort gastierte, frisch vom Uraufführungsort Manchester Festival kommend und später auch in Bregenz zu sehen, das queere Aktivistenstück The Faggots and Their Friends Between Revolutions des Komponisten Philip Venables und des fürs Libretto zuständigen Regisseurs Ted Huffman. Beide haben schon öfter zusammengearbeitet, etwa bei dem vielgezeigten Denis & Katya oder 4.48 Psychosis nach Sarah Kane. Basierend auf Larry Mitchells 1977 erschienener gleichnamiger Märchenutopie über die schwulen Stonewall-Krawalle von 1969 ist das ein ironisch-aktivistisches LGBTQ+-Singspiel, so scheinbar nett und freundlich wie böse und sarkastisch. 15 Darsteller singen, tanzen, sprechen, spielen, sind sie selbst und diverse Identitäten. Das ist ein barocker Musikreigen mit Saxofon, Flöte, Theorbe, Cembalo, Viola da Gamba, Akkordeon, alles geht multikulti wild durcheinander; freilich am Ende doch etwas zu brav und harmlos in seiner kunterbunten Fantasy-Anmutung. Als Festivalöffnung allerdings unbedingt notwendig – und sogar das Publikum singt mit.
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