Alban Bergs Lulu ist ein in vieler Hinsicht monströses Werk. In der Inszenierung von Marlene Monteira Freitas am Theater an der Wien und den Wiener Festwochen bleibt jedoch eine tiefe Kluft zwischen Innen- und Außenwelten.
Von Reinhard J. Brembeck
Vera-Lotte Boecker ist in Wien eine gestrenge Männerfängerin, mit schwarzer Hose, weißer Bluse und den blauen Sneakers, die hier alle Bühnenbespieler tragen. Boecker agiert keusch und züchtig, nur manchmal zeigt sie ein Lächeln, einen tief gehenden, auffordernden Blick. Sonst braucht sie nichts, um die Heerscharen von Männern samt einer Lesbe in Aufruhr zu versetzen. Dann scharwenzelt Mann um Frau herum, zeigt Tics, wird nervös, gerät in Schwingungen. Boeckers Lulu bleibt ungerührt. Sie singt sonor, selbstverständlich, ohne Überzeichnung. Obwohl das Orchester in später Wagner-Nachfolge ein dunkles, recht gleichförmig mäanderndes Pandämonium der Erotik malt und dabei immer auf Espressivo setzt, auf Dunkel, Brüten – nie aber auf Strahlen, Freude, Entäußerung. Alban Berg hat in der Lulu eine Dauererektion komponiert, die nie zum Orgasmus kommt. Alles ist Psycho, nichts Wirklichkeit.
Regisseurin Marlene Monteiro Freitas belässt es auf der Bühne bei zwanghaften Bewegungen, die nie Realismus zeigen, sondern immer nur verdruckstes Herumschleichen in geometrischen Bahnen um die begehrte Frau. Acht Performer und zehn Sänger gruppieren sich wie auf einem Reißbrett um diese Lulu, der das Anlocken der Männer ohne Absicht und Wollen gelingt. Nur bei Journalist Schön und dessen Künstlersohn muss sie ein wenig forcieren, aber eben nur ein wenig. Da blitzt es aus Vera-Lotte Boecker heraus, da macht sie klar, dass diese Lulu ganz, ganz furchtbar sein könnte, wenn ihr einer ernsthaft widerstände. Tut aber keiner. Also braucht sich diese Lulu nie zu echauffieren.
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