In Nancy nimmt Mikaël Serre das Wagnis auf sich, Paul Dukas‘ Ariane et Barbe-Bleue auf die Bühne zu bringen. Anstatt sich hermetisch zu verschließen, bietet das 1907 uraufgeführte Werk Raum für aktuelle Diskussionen – und offenbart eine erstaunliche Zeitlosigkeit.
Von Stephan Schwarz-Peters
Paul Dukas‘ einzige Oper Ariane et Barbe-Bleue gehört zu den Mysterien des Repertoires. Sie auf die Bühne zu bringen ist kinderleicht – solange man über eine Hauptdarstellerin aus Drahtseil und einen kamikazeerfahrenen Regisseur verfügt, der dem Risiko zu scheitern trotzig ins Gesicht lacht. Abgesehen von ein paar Schlüsselmomenten gibt es kaum dramatische Handlung, dafür aber viel symbolistisch aufgeladenen, in bewusst blutleerer Sprache verfassten Text (immerhin aus der nobelpreisgekrönten Feder von Maurice Maeterlinck); zudem befindet sich das Bühnengeschehen in permanentem Konkurrenzkampf zum schillernden, meist „Volldampf voraus“ fahrenden Orchesterpart; und schließlich erfordert die fast ausschließliche Besetzung mit weiblichen Stimmen bei allem Reiz ein ausgeklügeltes Casting, das Charaktere und Stimmfarben so aufeinander abstimmt, dass sich nicht alles im großen Gleichklang verliert. Gut, dass man sich an der Opéra national de Lorraine in Nancy so umsichtig auf das 1907 uraufgeführte Stück vorbereitet hat. Und gut, dass es bei aller Sperrigkeit durchaus auch die eine oder andere Steilvorlage enthält, die eine Inszenierung mit aktuellen Bezügen ermöglicht.
Es geht um die Dauerbrenner Gewalt und Feminismus, und in Mikaël Serres Regie vermischen sich beide Elemente auf vielfältige wie interessante Weise. Elementare Zuschauerorientierung leisten dabei die Videos von Sébastien Dupouey, der in rasenden Kamerafahrten über dunkle Wälder eigene dystopische Räume erschafft – zusätzlich zum Bühnenbild von Nina Wetzel, die Blaubarts Burg in ein kühles, mehrstöckiges Loft mit einer Art Showtreppe verwandelt. Hier lässt David Lynch grüßen, aber auch eine Reihe anderer kultureller bzw. popkultureller Bezugsträger, die diesen so ganz und gar nicht anziehenden Ort belagern: Aus der aufgeheizten Volksmenge, die sich zu Beginn sogar teilweise in den Rängen des nicht gerade riesenhaft dimensionierten Theaters postiert, lugen die „Droogs“ aus Stanley Kubricks Clockwork Orange ebenso hervor wie der mittlerweile ikonische Büffelmann, der sich bei der Kapitolerstürmung im Januar 2021 so prominent ins Rampenlicht gestellt hat.
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