Deborah Warner kehrt mit Wozzeck an den Beginn ihrer Opernregiekarriere zurück. In Covent Garden findet sie mit Christian Gerhaher einen Jedermann ohne falsches Pathos und von überragender sängerischer Ausdruckskraft.
Von Alexandra Coghlan
Wozzeck ist eine Oper über uns alle. „Wir arme Leut’“ stehen im Zentrum – Menschen, deren Dasein prekär ist, die sich abmühen, die leben und sterben, ohne der Gesellschaft und ihrem abgekarteten System Umstände zu bereiten. Wenn die chromatischen Spasmen der Musik sich endlich klären, kommt der krachende d-Moll-Akkord vor der Schlussszene wie ein Magenschwinger, der quer durch das Auditorium zu fühlen sein soll. Deborah Warners Neuinszenierung für das Royal Opera House Covent Garden landet diesen Treffer zwar nicht so ganz. Aber es handelt sich dennoch um eine manchmal überraschende, oft großartige Produktion, die sich nicht scheut, das Sanfte ebenso wie das Brutale dieses bemerkenswerten Werks zu suchen und zu finden.
Für Warner schließt sich hier ein Kreis. Bergs erste Oper war auch die erste der Regisseurin – ihr Debüt 1981, das sie für das Edinburgh Festival Fringe inszenierte, und ein Jahrzehnt später ihr professioneller Start bei Opera North. Nun, zu ihrer Rückkehr, ist sie, wenn nicht gerade milde gestimmt, so doch sachter im Ansatz, mit Raum für Zweifel und Fragen ebenso wie für Zorn. Manche Wozzeck-Produktionen schreien so laut, dass einem alles Nachdenken vergeht. Warner flüstert. Die provozierende Eröffnungsszene – oberkörperfreie Soldaten pinkeln in eine Reihe von Pissoirs (fraglos eine Aufwartung an Calixto Bieitos Un ballo in maschera für die English National Opera, der ebenfalls mit einer Reihe von Toiletten in Benutzung begann), während Wozzeck im Blaumann vergebens drumherum moppt und wischt – legt eine absichtlich falsche Fährte. Nachdem sie uns mit Dreck und Körperlichkeit konfrontiert hat, geht Warner einen Schritt zurück zu berauschender Fast-Abstraktion.
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