Ihr Entdecker Arturo Toscanini bescheinigte ihr eine engelsgleiche Stimme. Dabei konnte Renata Tebaldi durchaus ihre Soprankrallen ausfahren. Von der Presse zur Callas-Gegenspielerin stilisiert, betörte sie mit der schieren Klangschönheit ihrer Stimme und der Magie ihrer schwebenden Piano-Töne. Am 1. Februar wäre sie 100 Jahre alt geworden.
Von Kai Luehrs-Kaiser
Die „Stimme des Engels“, wie man sie nannte, konnte auch anders. Kein Zweifel, dass die „voce d’angelo“ als Synonym für eine der schönsten Stimmen aller Zeiten in die Geschichte eingegangen ist. Eigentlich war ihr Sopran aber nicht so lieblich wie der von Mirella Freni, nicht so sahnig wie der von Renée Fleming und nicht so unschuldig wie der von Lucia Popp. Sie war eine Verdi- und Puccini-Sängerin, und konnte, wenn es darauf ankam, ganz schön die Krallen ausfahren. In der vielbeschworenen Engelshaftigkeit ihrer Stimme lag immer die Hoffnung, dieser Vulkan möge einen nicht verschlingen, diese Lava einen nicht verbrennen.
Renata Tebaldi war so groß, bedeutsam und auch gefährlich, dass kein Kenner, erst recht nicht unter den Zeitgenossen, es je versäumt hätte, den Ruhm der scheinbar unerreichbaren Maria Callas an ihr, an „La Tebaldi“ zu relativieren. Die beiden galten als Erz-Rivalinnen, die sich am Ende doch noch versöhnen sollten. Wer den Sieg davontragen würde, war zu Lebzeiten keineswegs ausgemacht. Der Unterschied: Während die Callas es bis in die Yellow-Press schaffte und als Mode-Ikone sogar Glamour-Zeitschriften zierte, blieb Tebaldi fast hausmütterlich brav auf dem Opern-Teppich. Der war zwar auch blutrot, der Ruhm Tebaldis aber erreichte bis heute eher die wahren, supertreuen, glühenden Afficionados.
Darstellerisch etwa galt diese Sängerin als „limitiert“. So hat es eine ihrer Bewunderinnen, die Sopranistin Raina Kabaivanska, ausgedrückt. Tebaldi freilich wollte so sein. War sie es einmal gewöhnt, von links als Desdemona die Bühne zu betreten, so lehnte sie es fortan ab, von der anderen Seite aufzutreten. Sie beschränkte, so darf man sagen, ihre Mittel bewusst. Genau darin lag ihre Zauberkraft begründet. Begrenzen nämlich tat sie vor allem – und keine hat das kunstvoller getan als sie – die Dynamik. Also: die Volumenstärke ihres Gesangs. Die Stimme war perfekt fokussiert, was es der Sängerin noch im fortgeschrittenen Stadium ihrer Karriere erlaubte, ihren Sopran wirkungsvoll zu drosseln und die Lautstärke unglaublich zu minimieren. Sie blieb trotzdem präsent und von sengender Intensität und Klangschönheit.
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