Der vielleicht stimmschönste Mime in Wagners Siegfried kämpft seit Langem erfolgreich gegen seine Krankheit – und kehrt im Juni in Turandot nach Berlin zurück.
Von Kai Luehrs-Kaiser
Preisfrage des Tages: Warum war Graham Clark der vielleicht beste Mime in Wagners Siegfried in den vergangenen 50 Jahren? Antwort: weil er keiner war! Clark kam von woanders her. Nur dass dies heute kaum jemand ahnt. Vom Belcanto nämlich. In Donizettis La fille du régiment sang er den Tonio – jene Tenorrolle mit den berüchtigten neun hohen Cs. Und zwar neben Joan Sutherland, im direkten Wechsel mit niemand Geringerem als Luciano Pavarotti. Der Dirigent Richard Bonynge, der als Entdecker Clarks gelten muss, besetzte ihn auch als Camille de Rossillon in der Lustigen Witwe (erneut neben Sutherland). Im Rosenkavalier sang Clark die höllisch schwere Rolle des Tenors (im ersten Akt), lange bevor er ein vielgebuchter Intrigant Valzacchi wurde. Unser Lieblings-Mime, mit anderen Worten, ist in Wirklichkeit ein lyrischer Tenor.
Geboren 1951 im englischen Lancashire, wohnt er seit 50 Jahren, wie er erzählt, in Reading in der direkten Einflugschneise zu London. Seit Jahrzehnten auch kämpft er gesundheitlich beharrlich und erfolgreich gegen eine Krebserkrankung an, die ihn von regelmäßigen Auftritten fast nie abgehalten hat. „Bei mir wurden zwei Blasentumore diagnostiziert, gerade als ich in Bayreuth im Ring engagiert war“, so Clark offen und mit fast kämpferischer Heiterkeit. Mehrere Operationen folgten. Denn: „Nach zehn Jahren kam der Krebs zurück. Ich bekam eine künstliche Blase eingesetzt“, ergänzt Clark. „Sie funktioniert sehr gut.“
„Ich kann auf der Bühne umherspringen, rennen und schreien, wie es mir gefällt“, erzählt er über den gegenwärtigen Gesundheitszustand. Dass Clark kürzlich die Rolle des Hauk-Schendorf in Leoš Janáčeks Sache Makropulos absagen musste, lag an Komplikationen im Zusammenhang mit einem Herzanfall. Im Juni, da ist er sicher, wird er als Altoum in der neuen Berliner Turandot zurückkehren (inszeniert von Philipp Stölzl). Wie meistens, auch hier: an sein heutiges Stammhaus, die Staatsoper Unter den Linden.
„Schon Mime habe ich nur wegen Daniel Barenboim übernommen“, so erklärt Clark rückblickend sein Bayreuther Siegfried-Debüt 1988. „Ich war dorthin gekommen, um Balthasar Zorn, einen der kleinen Meister in den Meistersingern zu übernehmen, den ich schon woanders gesungen hatte“, so Clark. „Ich sang für David bei Wolfgang Wagner vor, der mich aber als Loge im Rheingold besetzen wollte.“ Von Barenboim dann kam die Idee, auf Mime im Siegfried umzuschwenken. Sagenhafte 16 Sommer hindurch sang Clark in Bayreuth. Hinzu kommen 15 Spielzeiten an der Metropolitan Opera. „Barenboim war immer mein Mentor“, so Clark. Er sollte es bleiben. Im zweiten Kupfer-Ring, ab 1994 an der Staatsoper, war er natürlich auch mit von der Partie. Auf über 100 Mimes sollte er es bis heute bringen. „Und auf 60 Mal Loge“, wie Clark prompt ergänzt. Schon 1977 hatte er in Glasgow seine erste Wagner-Rolle, Balthasar Zorn in den Meistersingern übernommen. 2019 in Berlin sollte er vorerst letztmalig den Kunz Vogelgesang in derselben Oper geben. Derlei Daten kann man auf einer vorbildlich detaillierten Homepage des Sängers nachlesen.
„Barenboim war immer mein Mentor“
„Ich versuchte Mime so zu singen, als sei es der Rigoletto-Herzog“, so Clark rundheraus. Auf dem Atem also, mit leicht dynamisierter Belcanto-Stimme. Diesen Herzog hatte er natürlich auch gesungen, unter Bonynge bei einer Gala. Eigentlich arbeitete er als Angestellter in der englischen Sport-Administration, als er hobbymäßig mit dem Singen anfing. „Ich hatte nicht einmal große Chorerfahrung, so wie sie in Großbritannien vielfach üblich ist.“ Und dennoch studierte er rasch Rodolfo aus La bohème (worin er zuletzt 1982 an der English National Opera auftrat) und Pinkerton aus Madama Butterfly. Bestaunt hatte er zuvor die Tenorstimmen von Franco Corelli und Tito Schipa. „Meine Mutter war ein Fan von Anneliese Rothenberger. Das war aber auch schon die ganze Verbindung von mir zur klassischen Musik.“
In Wexford gab man ihm schon 1973 eine hohe Tenor-Rolle in Prokofjews Spieler. Er war in der Lage, das hohe E in Adolphe Adams Postillon de Lonjumeau zu erreichen. Der Kontakt zu Richard Bonynge kam für ihn gerade recht. Der suchte für Konzerte einen Belcanto-Tenor. Clark landete am Covent Garden. Das italienische Fach, sagt er, habe er erst nach 1982 aufgegeben. „Und auch wieder nicht aufgegeben! Barenboim wollte in Wagner-Rollen immer so viel Belcanto von mir hören wie nur möglich.“
Den fein ausschwingenden, lyrischen Schmelz hört man tatsächlich, egal ob Clark als David in Horst Steins Meistersingern 1983 auf die Tabulatur schwört (neben Bernd Weikl als Sachs und einem grandiosen Hermann Prey als Beckmesser). Als Steuermann war er in Harry Kupfers legendärem Fliegenden Holländer (mit Simon Estes) mit dabei. In Bonynges Trovatore ist er als Ruiz zu hören (auf CD neben Sutherland und Pavarotti). Mime schließlich sang er nicht nur unter Barenboim, sondern im Flimm-Ring noch einmal unter Giuseppe Sinopoli.
Worauf es bei Mime ankommt? „To command the stage“, sagt Graham Clark. Also: den Ton zu setzen, die Bühne zu beherrschen. Im Übrigen gehe es darum, die Rolle vom Text her zu gestalten. „Es gibt hundert Weisen, auf die man ,Ich liebe dich’ singen kann – sogar als Mime gegenüber Siegfried, obwohl der ihn hasst“, so Clark. „Wo man Farben findet, heißt das immer, dass man Gedankenwechsel als Sänger hinbekommen hat.“ Farben sind Folge wechselnder Gedanken. So einfach ist das. Und so kompliziert.
„Bonynge dachte damals, es gehe belcantomäßig mit mir weiter“, fasst Clark seinen Werdegang zusammen. „Doch mir lagen die Charaktere in den entsprechenden Opern nicht.“ Ihm war Mime lieber. – Graham Clark gehört zu den wenigen Tenören, die nicht ihre Karriere, aber doch ihren Ruf auf den Nücker und bösartigen Gnom im Siegfried gründeten und dabei im Reinen mit sich sind. „Ich habe viel mehr gemacht, als ich mir vorgenommen hatte“, so Graham Clark. „I am a lucky guy.“