Von Entsagung und Erlösung, verhindertem Sex und religiöser Verzückung handelt Richard Wagners Bühnenweihfestspiel Parsifal. Dass es auch auf einer kleinen Bühne funktionieren kann, zeigt das Theater Hagen.
Von Uwe Friedrich
Der Gral ist ein Bonsai, und Kundry überlebt. Die Regisseurin Nilufar K. Münzing erzählt die Geschichte von der Erlösung der verknöchert kränkelnden Gralsritterschar als postkapitalistisches Märchen, das schließlich zu einer Aussöhnung mit der Natur führt. Das Bonsaibäumchen wird eingepflanzt und wächst in rekordverdächtigem Tempo zu einer geheimnisvoll schimmernden Blattkrone an. Der heilige Speer wird ebenfalls nicht mehr gebraucht, denn Parsifal schwingt sich nicht zum neuen König auf, sondern wird die Ritterschar künftig im Team mit dem entsühnten Amfortas und Kundry leiten.
Bis dahin ist es allerdings ein weiter Weg für den reinen Toren, der den Schwan im ersten Akt in einem heruntergekommenen Kaufhaus, möglicherweise auch einer umgebauten Industriehalle erschießt. Über einem großen Schiebetor zeugen noch ein paar Leuchtbuchstaben von den Verheißungen des (Einkaufs-)Paradieses, das hier einst lockte, aber offensichtlich regnet es schon seit Jahren hinein. Unter einer Treppe hat sich Gurnemanz eine Leseecke mit Sessel eingerichtet, wo er die Erinnerungen an bessere Tage pflegt. Schon durch seine Freizeitkleidung mit Strickjacke im Schlabberlook steht er außerhalb der Rittergemeinschaft, die durch ihren ritualisierten Lebenswandel offenbar die Menschheit an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hat, aber trotzdem unverdrossen weitermacht, als wäre nichts gewesen.
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