An der Oper in Stuttgart ersetzt die Hänsel und Gretel-Neuinszenierung von Axel Ranisch die verunglückte Produktion von Kirill Serebrennikow. Doch auch sie kann nicht ganz überzeugen.
Von Manuel Brug
Erst 2017 fand die letzte Hänsel und Gretel-Neuinszenierung an der Staatsoper Stuttgart statt. Nicht sehr lange her für ein Werk, das an deutschen Opernhäusern bisweilen als unzerstörbares Repertoire-Gut dem fünfzigsten Jahresring entgegenmodert. „Alles originell, neu und so echt deutsch“, so charakterisierte schon Richard Strauss, der Dirigent der Uraufführung am 23. Dezember 1893 in Weimar, dieses „Meisterwerk erster Güte“. Und echt deutsch, mit grünem Tann und Knusperhaus nebst bedrohlich flammendem Ofen, mit Sandmännchen als braunem Waldwichtel und Taumännchen als fliegender Glitzerelfe mit Blumenstängel, mit zu Volksliedern gewordenen Hits, so ist Hänsel und Gretel nach wie vor in Düsseldorf (Premiere: 1969), Mannheim (1970), Hamburg (1971), München Gärtnerplatztheater (1974) oder an der Wiener Volksoper (1985) zu erleben.
Anderswo hat man das Stück als Konsumkritik ohne Süßigkeiten, als Präkariatsanklage im grellen RTL-Stil inszeniert und skandalisiert, hat Kinderkerker gebaut, Misshandlung und Missbrauch thematisiert, die tantige Hexe Rosina Leckermaul als Päderasten überzeichnet – natürlich nur für Erwachsene – oder als Transe an die Supermarktkasse gesetzt. Man hat sie tiefenpsychologisch fein von der Sängerin der Mutter darstellen oder in alter Schwanktradition von einem Tenor singen lassen (was Humperdinck gar nicht mochte). Aus den segnenden Engeln des zweiten Finales wurden fiese Köche, die Mutter wurde tablettensüchtig und die verhungernden Gören fielen am Ende über die gegrillte Hexe wie über einen Festtagsbraten her.
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