Sarah Nemtsovs Ophelia erlebt in Saarbrücken ihre Uraufführung – und entpuppt sich dabei lediglich als mit Elektronik aufgeplustertes Fliegengewicht. Das Publikum feiert die Protagonisten mehr als die Komponistin.
Von Roland H. Dippel
Auf dem Monitor flattern Kurvenwerte. Im Klinikbett kämpft die kastanienrote Ophelia gegen traumatisierende Erinnerungen. Es bleibt vom Anfang bis zum Schluss ziemlich düster. Noch düsterer sind freilich die ersten langen Flächen von Sarah Nemtsovs neuer Oper Ophelia für das Staatstheater Saarbrücken. Scharfe, dumpfe, elektronische Stürme und Soundkaskaden wogen heran. Durchbrochen werden sie von sirenenartigen Klangschreien und mehr zu erahnenden als deutlichen Rhythmen. Nemtsovs Kompositionskonstrukt bleibt in den ersten 15 Minuten faszinierend, suggestiv und beklemmend – und versprach einen großartigen Abend. So lange, bis es um Basisanwendungen für funktionales und dramaturgisch deutliches Musiktheater gehen sollte. Ab da gerinnt Nemtsovs dicht-dicker Flow zur Schwulst-Inflation mit drastischem Gewichtsverlust. Was auch zur Folge hat, dass Nemtsovs überall artikulierter und dann enttäuschend flach auskomponierter Ärger über das, was William Shakespeare und seine Adepten der benutzten und im Wahnsinn endenden Ophelia im faulen Staate Dänemark zumuteten, schwer fassbar wird. Es sind neben der Hauptfigur noch Schatten-Drillinge, aus denen sich die poetische Musterfrau zusammensetzt; sie hat Ähnlichkeit mit Martina Gedeck im Film Die Wand. Ophelia treibt die Geister der Vergangenheit aus, darf dann mit Blumen und einem neuen Mann an ihrer Seite Klinik und Krankheit hinter sich lassen. Max Dollinger spielt mit echtem Sympathieappeal diesen netten Jungen von nebenan, der hier nicht Hamlet, sondern Horatio ist.
Im nachtschwarzen Niemandsland auf dem Klinikdach hausen die Dämonen aus Shakespeares finsterster Tragödie neben King Lear. Zusammen mit ihrem Textdichter Mirko Bonné denkt sich Nemtsov das als Gehege für sämtliche Bestien in Ophelias poetischer Biografie. Hamlet selbst ist eine Fast-Sprechrolle. Aus dem Ensemble ragen heraus der höhengestählte Countertenor Georg A. Bochow vom Opera Lab Berlin als Rosenstern und – Frau basht Frau – Liudmila Lokaichuk als Luder Gertrude und zickige Koloraturdiva. Doch Regisseurin Eva-Maria Höckmayr macht einen exzellenten Job, indem sie – was für eine Uraufführung die Regel sein sollte – genau das deutlich hervorhebt, was im Libretto und in der Musik steckt. Fabian Liszts Zweietagen-Bühne und Videos tauchen Julia Röslers Renaissance-Kostüme für die bösen Mörder- und Machtstrategen-Figuren in musikaffine Düsternis, aus denen sie auch das Licht Karl Wiedemanns nicht erlösen wird. Das Stück erfährt also seine angemessen konformistische Bebilderung.
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