Die Hinter-den-Kulissen-Oper ist fast so etwas wie ein eigenes Mini-Genre für sich (man denke nur an Donizettis Le convenienze ed inconveninenze teatrali oder Lortzings Opernprobe). Einen amüsanten, uramerikanischen Beitrag hat Jake Heggie mit seinem Great Scott hinzugefügt, der die Einstudierung und Aufführung eines fiktiven Belcanto-Meisterwerks durch eine zeitgenössische Operntruppe schildert, uraufgeführt in Dallas 2015.
Die Titelhauptrolle der Primadonna Arden Scott hat Heggie dabei keiner Geringeren als Joyce DiDonato auf den Leib geschneidert, die in ganz auf die Vorzüge ihrer Stimme und Technik abgesteckten, kompositorisch geschickt herbeigeflunkerten Kantilenen der Marke Donizetti brillieren kann, ansonsten aber ihrem ausgeprägten komödiantischen Showinstinkt freien Lauf lässt. Die Staffage um sie herum, vom aufstrebenden Netrebko-Verschnitt Tatyana Bakst (Ailyn Pérez mit pinkstrassverzierter Selfiemaschine) bis zum hauptsächlich mit sich selbst beschäftigten künstlerischen Stab, ist in Jack O’Briens Regie brillant um die Diva herum arrangiert. Nicht nur dramaturgisch, auch szenisch gelungen ist im zweiten Akt der Wechsel zwischen Backstage-Bereich und großer Bühne.
Weniger inszenatorische Höhepunkte, dafür aber echten Donizetti bietet Andrea Bernards düster-nüchterne Produktion von Lucrezia Borgia vom Donizetti Opera Festival 2019: Eine Aufführung, die sich vor allem wegen der Titelheldin und ihres tenoralen Gegenparts lohnt. Als Lucrezia zeigt Carmela Remigio mit großem Gespür für die dramatische Kurve (und unerschütterlicher, wenngleich nicht besonders markanter Stimme) überzeugend die innere Widersprüchlichkeit der intriganten Gifthexe und leidenden Mutter, lässt unvermittelt lyrischen Feinsinn auf geradezu kalt, fast unmenschlich klingende Koloraturenvirtuosität prallen. Als angehender Star in der Feinschliffphase steht ihr Xabier Anduaga, Oper! Award-Gewinner der ersten Ausgabe, mit Kraft, toller Höhe und herrlichem Legato zur Seite – während der Bariton-Schurke Marko Mimica (als Don Alfonso) etwas blässlich an der Seite bleibt.
Vergleichsweise puristisch, dennoch kurzweilig hat Barrie Kosky Rameaus Ballettopern-Nachzügler Les Boréades in Dijon herausgebracht. Die federleichte, im wahrsten Sinne des Wortes winddurchwehte Inszenierung verliert durch die eingeschränkte Perspektive der DVD-Aufzeichnung zwar ein wenig an Frische. Die reduzierte Schaulust macht der nicht nur musikalisch-historisch bestens informierte, sondern auch darstellerisch überzeugende frankophone Cast um Hélène Guilmette und Mathias Vidal sowie das zur Choreografie von Otto Pichler über die Bühne wirbelnde, dauerpräsente Tanzensemble aber wieder wett, so dass die zweieinhalb Stunden nicht nur im Theater wie im Flug vergehen.
Zum Schluss noch David McVicars stimmungsvoller Covent-Garden-Faust, aufgezeichnet bei der Wiederaufnahme 2019. Dan Ettinger am Pult hält die Massen der exzellent aufgelegten Klangkörper virtuos zusammen und bietet einen idealen Klanghintergrund, vor dem das überaus gounodtaugliche Ensemble brillieren kann: Michael Fabiano als strahlender, gleichzeitig anpassungsfähiger Faust; mit mädchenhafter Grazie, gleichzeitig aber auch mit bombensicherem Gesang die Russin Irina Lungu; und Erwin Schrott sorgt als Méphistophélès für höllisches Vergnügen.
Stephan Schwarz-Peters