Mit David MacVicars Inszenierung von La Calisto ist die Cavalli-Renaissance endlich auch an der Mailänder Scala angekommen. Im Graben sorgt Christophe Rousset für eine musikalische Sternstunde.
Von Antonia Munding
Am Ende leuchtet die keusche Calisto als Große Bärin vom Bühnenhimmel herab, und in Italiens berühmtestem Opernhaus, dem Mailänder Teatro alla Scala, schließt sich eine Repertoire-Lücke, die über Jahrzehnte wie ein mahnendes Ausrufezeichen zur kulturellen Vergesslichkeit über dem Haus stand. Ausgerechnet im Geburtsland der Oper hatte man Francesco Cavalli, Monteverdis begabtesten Schüler und mit ihm die Anfänge des Belcanto sowie die ersten großen und kommerziell erfolgreichen Würfe des Dramma per musica hartnäckig negiert. Wie kein anderer Komponist bestimmte Cavalli den Musikbetrieb des 17. Jahrhunderts, bereicherte ihn mit neuen musikalischen Formen und schuf in kongenialer Partnerschaft mit dem Librettisten Giovanni Faustini aus dem noch jungen Genre Oper eine aufregend moderne Kunstform, die mythologische Stoff mit gesellschaftlichen Fragen und wissenschaftlichen Erkenntnissen verquickte.
Die Cavalli-Renaissance, die 1970 beim Glyndebourne Festival mit Raymond Leppard einsetzte und 1993 unter Leitung von René Jacobs in Brüssel Fahrt aufnahm, hat mit dem französischen Dirigenten und Cembalisten Christophe Rousset sowie dem schottischen Opernregisseur David McVicar endlich auch die Scala erfasst und zugleich ein neues Level erreicht. Rousset hat La Calisto bereits in Paris und Straßburg präsentiert und dabei die ursprüngliche Besetzung von lediglich sechs Instrumentalisten für die 2.200 Plätze umfassende Scala vervierfacht. Bei der Uraufführung am 28. November 1651 in Venedigs winzigem Teatro Sant’Apollinare befanden sich nur zwei Geigen, eine Bratsche, eine Theorbe, ein Spinett und ein von Cavalli selbst gespieltes Cembalo im Orchestergraben. Roussets 14-köpfiges Team Les Talens Lyriques ergänzen nun neun Streicher des Scala-Orchesters – mit historischen Instrumenten. Erstaunlich, wie Rousset angesichts der kurzen gemeinsamen Probenzeit ein durchgehend geschmeidig-homogener, dabei äußerst differenzierter Gesamtklang gelingt. Er kostet die dramatisch Kraft der Partitur genau aus und erweckt die von Ovids Metamorphosen inspirierte Geschichte um den liebestollen Gott Jupiter und die Nymphe Calisto zu neuem Leben.
Jetzt weiterlesen!
Dies ist Premiummaterial. Testen Sie unsere Angebote, um den gesamten Artikel zu lesen.
Abonnieren
Das aktuelle gedruckte Heft jetzt bestellen oder komplett online lesen!Jetzt mit wenigen Klicks zum OPER!-Inhalt
Ausprobieren
Zwei ausgewählte Artikel kostenlos lesen? Dann registrieren Sie sich hier!In dieser Ausgabe kostenlos: