Lisette Oropesa ist vor allem im italienischen Belcanto zuhause. Im Interview spricht sie über Frauenrollen auf der Opernbühne, Erfolgsdruck und den richtigen Umgang mit Kritik.
Interview: Uwe Friedrich
Sie singen vorzugsweise die großen Rollen des italienischen Belcanto-Repertoires, wo Frauen regelmäßig mit den schönsten Koloraturen untergehen. Sind diese Opferrollen nicht auf die Dauer deprimierend?
Ich bin fest davon überzeugt, dass man diese Frauenrollen nicht als reine Opfer interpretieren sollte. In jeder dieser Opern gibt es mindestens eine Szene, in der sie gegen ihr Schicksal aufbegehren. Sie lassen sich nicht einfach herumschubsen. Wenn sie schließlich doch untergehen, dann liegt das an der Gesellschaft und nicht daran, dass sie versagen oder sich still duldend in ihr Schicksal fügen. Und wenn sie sterben, dann sterben sie mit einem lauten Schrei. Ich versuche, die Stärken dieser Figuren zu finden und auf der Bühne darzustellen. Die Primadonna macht den Männern eine Menge Ärger, und sie müssen sich wirklich anstrengen, um die Frau aus dem Weg zu räumen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass die Oper einer der wenigen Bereiche ist, in denen Frauen wirklich gleichberechtigt sind. Wir haben in diesen Opern meistens die wichtigste, jedenfalls die am stärksten wahrgenommene Rolle. Wir bekommen dieselbe Bezahlung wie Männer in vergleichbaren Rollen, nicht weniger, so wie in den meisten anderen Berufen. Und das war schon seit Beginn der Oper so. Alle Komponisten haben ihre wichtigsten Opern für ihre Sängerinnen geschrieben, und wir erinnern uns an sehr viele Namen von Primadonnen der Vergangenheit. Ich verstehe den Einwand, dass Frauen die Handlung nur selten überleben. Aber die gesellschaftlichen Verhältnisse werde nie positiv dargestellt, sondern immer kritisiert. Ja, immer wieder treibt in diesen Opern eine Männergesellschaft die Frau in den Tod. Aber wenn man in dieser Oberflächenhandlung einzig Frauenfeindlichkeit erkennen will, ist das zu kurz gedacht. Ich empfehle, auf die Musik zu hören, und da hat die Titelheldin viel zu bieten. Rezitative und Arien des Aufbegehrens starker Frauen, die sich gegen die Unterdrückung wehren, sind im 19. Jahrhundert auch ein Akt der Emanzipation.
Häufig werden diese Frauenrollen aber szenisch als schwache Frauen gedeutet. Mussten Sie dieses Thema schon mit Regisseuren diskutieren, die Sie bzw. ihre Figur auf der Bühne als Opfer sehen wollten?
Ich hatte mal mit einem Regisseur zu tun, der mich als Lucia di Lammermoor immer wieder in Ohnmacht fallen ließ. Irgendwann habe ich ihn gefragt, ob diese Lucia etwa Diabetikerin sei, weil sie immer wieder Kreislaufprobleme hat und das Bewusstsein verliert. Er wollte damit zeigen, dass sie vom Geschehen buchstäblich umgeworfen wird. Ich habe dagegen protestiert und lange mit ihm diskutiert, damit sie auf ihren eigenen Beinen stehen darf. So etwas passiert immer wieder.
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