Musikalisch ist Jeanine De Bique vor allem im Barock zu Haus. Im Interview spricht die Sopranistin über mögliche Aufgaben in der romantischen Oper und die Kunst des Koloraturgesangs.
Interview: Uwe Friedrich
Bei den Festspielen in Aix-en-Provence singen Sie ihre erste Rossini-Rolle, nämlich die Anaï in Moïse et Pharaon. Was reizt Sie an der italienischen romantischen Oper?
Für mich ist das alles neu. Es ist meine erste Belcanto-Rolle. Eine vollkommen neue musikalische Sprache. Wenn Sie Spanisch beherrschen und Italienisch lernen, ist das ähnlich. Es gibt sehr viele Ähnlichkeiten zum Barockrepertoire, in dem ich mich auskenne, aber auch große Unterschiede. Dadurch wird die neue Sprache interessant und wunderschön. Ich habe sehr viel über Rhythmus, Phrasierung und Rubato gelernt. Das funktioniert in der italienischen Romantik vollkommen anders als im italienischen Barock. Das war eine echte Herausforderung für mich. Natürlich braucht man Zeit, um sich in der neuen Sprache wohlzufühlen. Aber mit dem wunderbaren Dirigenten Michele Mariotti war es eine große Freude, diese Herausforderung anzunehmen und von ihm zu lernen.
Rossinis Moses wird selten aufgeführt, noch seltener in der französischen Fassung Moïse et Pharaon. Die Sprache sitzt nicht ganz passgenau auf der Musik, weil das Werk auf Italienisch komponiert wurde. Wie gehen Sie damit um?
Wir suchen gemeinsam nach Wegen. Es sind nur kleine Anpassungen, eigentlich ist das kein Problem. Aber ich freue mich, dass es keine große Aufführungsgeschichte gibt und dass nicht jeder im Publikum zu wissen glaubt, wie es „richtig“ gesungen wird. Ich kann für mich selbst eine Interpretation finden, und das Publikum kann hören und sehen, ob es meine Sichtweise überzeugend findet.
Die Belcanto-Oper wurde für Sängerpersönlichkeiten geschrieben, die ihre eigenen Vorstellungen einbringen sollten. Sie haben den Gesang virtuos verziert und wurden dafür gefeiert. Wie gehen Sie mit den Freiheiten um, die diese Rollen bieten?
Das ist ewiges Ausprobieren und Lernen. Auch Michele Mariotti sagte, dass er diese Musik vor zehn Jahren vollkommen anders dirigiert hat, und er galt schon damals als Spezialist. Man versucht etwas und schaut, ob es funktioniert. Ob es die Emotion der Arie transportiert oder nicht. Und wenn nicht, probiert man etwas anderes aus. Das kann ein anderes Tempo sein oder eine andere Koloratur, eine andere Phrasierung oder eine rhythmische Verschiebung. Oft sind es Kleinigkeiten, die man aber sehr bewusst einsetzen muss, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Mariotti weiß sehr viel, ist sehr geduldig und arbeitet gemeinsam mit mir daran. Der Notentext bleibt gleich, aber mein Verständnis, meine Sichtweise kann sich von Tag zu Tag ändern.
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