Singende Tiere in Amsterdam: Auf Anregung des Regisseurs Damiano Michieletto hat der Komponist Alexander Raskatov George Orwells satirische Fabel Animal Farm in eine Oper verwandelt. Diese hat im März Premiere an der Amsterdamer Nationaloper – und bringt alles für ein modernes Erfolgsstück mit.
Von Stephan Schwarz-Peters
George Orwell (1903-1950) gehört zu den großen Mahnern der Literaturgeschichte, ein Antiutopist, der mit seinem 1949 erschienenen Roman 1984 den Klassiker der politischen Dystopie schlechthin schuf. Selbst ein überzeugter Sozialist, verurteilte der britische Schriftsteller zeit seines kurzen Lebens die real existierende Form des sowjetischen Sozialismus unter Stalin – und thematisierte ihn in einer nicht minder berühmten Fabel, die 1945 unter dem Titel Animal Farm – Farm der Tiere erschien. Hierin proben die grunzenden, gackernden, muhenden und blökenden Bewohner eines heruntergekommenen Landwirtschaftsbetriebs den Aufstand gegen ihren menschlichen Unterdrücker, jagen ihn buchstäblich vom Hof und errichten unter dem Diktum von Freiheit und Gleichheit eine neue Gesellschaftsform: den „Animalismus“. Als Intelligenzija übernehmen die Schweine, allen voran der abgefeimte Eber Napoleon, die Führung – und bald die Alleinherrschaft, die sich nach paradiesischen Anfängen zunehmend in Terror, Unterdrückung und Elend verwandelt, auch wenn die offizielle Schweinepropaganda den Mit-Tieren stets das Gegenteil suggeriert. Am Ende lässt sich die Clique um Napoleon auch optisch kaum mehr von den zuvor vertriebenen Menschen unterscheiden. „Alle Tiere sind gleich“, heißt es nun, „aber manche sind gleicher.“
Dank seiner präzisen, eleganten, gleichzeitig packenden Erzählweise, seiner vielschichtigen Anlage und der satirischen Komik fand Animal Farm schnell Eingang in den Kanon der Weltliteratur. Noch heute ist das schmale Buch Standardlektüre im Englischunterricht, filmische Adaptionen als Zeichentrick aber auch mit echten Tieren als Darstellern, Hörspiele und Theaterproduktionen zeugen von der Popularität des Stoffes – und man könnte meinen, dass mindestens ein Opernkomponist bereits auf die Idee gekommen sein müsste, diese für die bunteste, komplexeste, offenste und experimentierfreudigste aller Kunstformen so prädestinierte Geschichte aufzugreifen. Doch Fehlanzeige! Anders als der Roman 1984, den Lorin Maazel als Zweiakter vertonte und 2005 am Royal Opera House in London zur Uraufführung brachte (und der Anfang Juni am Theater Regensburg Deutschlandpremiere feiert), gab es bislang keine Opernfassung von Animal Farm. Einer, der sich besonders darüber wunderte, war Damiano Michieletto. „Die Geschichte hat wirklich alles, was eine packende Oper ausmacht: eine klar strukturierte, dichte und nachvollziehbare Handlung, dramatische, anrührende, aber auch komische Elemente. Überhaupt sind singende Tiere eine Steilvorlage für die Opernbühne“, sagt der gebürtige Venezianer, der als Opernregisseur seit vielen Jahren an den bedeutendsten Häusern der Welt tätig ist.
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