100 Jahre nach seiner Uraufführung kehrt Zemlinskys Der Zwerg an die Oper Köln zurück. Wie damals wird die einaktige Oper mit Strawinskys Ballett Petruschka kombiniert. Eine Aufgabe, wie sie den durch avancierte Musiktheaterproduktionen bekannt gewordenen Regisseur Paul-Georg Dittrich nur reizen kann.
Von Stephan Schwarz-Peters
Das Liebesleben der Komponisten böte Stoff für eine Bibliothek voller Groschenromane. In die Reihe sämtlicher Beethovens, Schuberts und Tschaikowskys aufgenommen werden müsste dabei auch die betrübliche Love-Story des Alexander von Zemlinsky, der im Jahr 1900 der bezaubernden und begabten Wiener Gesellschaftslöwin Alma Schindler über den Weg lief und sich Hals über Kopf in sie verliebte. Sie wurde seine Kompositionsschülerin, es entwickelte sich eine Art amour fou zwischen den beiden, die jedoch außer ein bisschen Händchenhalten nicht zum von Zemlinsky erhofften Ziel führte und darin endete, dass Alma zwei Jahre später die Gattin des Hofoperndirektors Gustav Mahler wurde. In dieser Rolle füllte sie die Klatschblätter der Musikgeschichte weiterhin mit reichlich Stoff, nie wurde sie müde, diesen höchstpersönlich vor der Welt auszubreiten. Was Zemlinsky angeht, war es vielleicht sein zu jugendliches Alter, vielleicht auch seine Bedeutungslosigkeit, vor allem aber seine mangelnde Attraktivität, die Alma zurückschrecken ließ. „Furchtbar hässlich, hat fast kein Kinn“, vermerkte sie liebevoll nach der ersten Begegnung.
Verletzt und angegriffen versuchte der immerhin als Tonschöpfer nach und nach zu Erfolg gelangende Zemlinsky, sein Trauma künstlerisch zu verarbeiten, und bat einen dichterisch begabten Kollegen um ein Opernlibretto, das von der „Tragödie des hässlichen Mannes“ erzählen sollte. Diese Aufgabe übernahm Franz Schreker und verliebte sich so sehr in dieses Projekt, dass er seinen Auftraggeber darum bat, den Text des unter seiner Hand entstehenden dreiaktigen Renaissance-Dramas Die Gezeichneten, gestrickt um einen zwar genialischen aber körperlich verunstalteten genuesischen Edelmann, selbst vertonen zu dürfen. Zemlinsky verzichtete großmütig und machte sich auf die Suche nach einem verwandten Stoff. Fündig wurde er schließlich bei Oscar Wilde, der in seinem Märchen Der Geburtstag der Infantin die Geschichte eines kleinwüchsigen Hofnarren und dessen Liebe zu einer zwölfjährigen Prinzessin erzählt, deren anstachelndes Verhalten er zunächst als Zeichen von Gegenliebe missdeutet, bis ein Blick in den Spiegel ihm die wahren Hintergründe offenbart. Unter groteskem Zappeln und Plärren, und dem unverhohlenen Spott der zur Geburtstagsfeier versammelten Hofgesellschaft, stirbt der Zwerg an gebrochenem Herzen. Eine in hochpoetische Worte gefasste, bitterböse Satire, zu der Zemlinsky eine berauschende Musik komponierte. (Fun fact am Rande: Der Stoff hatte bereits dem verhinderten Librettisten Schreker als Vorlage für eine Ballett-Pantomime gedient.)
Bitterböse Satire, berauschende Musik
Ein reges Interesse an Zemlinskys Opernschaffen hatte der Dirigent Otto Klemperer, der nach Stationen in Hamburg, Barmen (heute Wuppertal) und Straßburg im Jahr 1917 seinen Dienst als Generalmusikdirektor der Kölner Oper antrat. Neben anderen interessanten Novitäten wie die Tote Stadt von Erich Wolfgang Korngold (1920) oder Schrekers Irrelohe (1924) sicherte sich Klemperer auch die Uraufführung von Zemlinskys Wilde-Projekt, das dieser auf einen Text des später als Drehbuchautor bedeutenden Georg C. Klaren unter dem Titel Der Zwerg in Musik gesetzt hatte. Am 28. Mai 1922 erlebte der nicht einmal anderthalbstündige Einakter in Köln seine Weltpremiere, kurz darauf erreichte die Karriere Zemlinskys ihren Höhepunkt – bis sie ein Jahrzehnt später von den Nazis abrupt beendet wurde: Der jüdische Komponist fiel, wie so viele von den neuen Machthabern verfemte Musiker, der Vergessenheit anheim. Erst ab den 1970er-Jahren holte man ihn, den Lehrer Arnold Schönbergs, wieder daraus hervor und feierte ihn als wichtiges musikhistorisches Bindeglied zwischen Spätromantik und Moderne. Ehrensache für ein traditionsbewusstes Haus wie die Oper Köln, den Zwerg genau 100 Jahre nach seiner Uraufführung wieder ins Programm zu nehmen – und zwar in der Kombination, in der er 1922 hier zu hören war: zusammen mit Igor Strawinskys thematisch verwandtem Ballett Petruschka, das bei der Doppelpremiere am 19. November vom Choreografen Richard Siegal in Szene gesetzt wird.
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