Mit seiner Lady Macbeth von Mzensk schuf Dmitri Schostakowitsch einen bühnenwirksamen Opernschocker. Ihn zu inszenieren kann eine echte Herausforderung sein – besonders für eine Regisseurin, die noch nie zuvor fürs Musiktheater gearbeitet hat. Wie für die Filmemacherin Angelina Nikonova, die das skandalumwitterte Stück nun an der Hamburgischen Staatsoper auf die Bühne bringt.
Von Stephan Schwarz-Peters
Fast hätte Dmitri Schostakowitsch den Erfolg seiner Oper Lady Macbeth von Mzensk mit dem Leben bezahlt. Denn angelockt von den Lobpreisungen, mit denen die Presse das zweite Bühnenwerk des jungen Komponisten überhäufte, hatte sich zwei Jahre nach der Uraufführung der Oberste Sowjet persönlich dazu entschlossen, eine Aufführung am Bolschoi-Theater zu besuchen. Was auf der Bühne passierte – eine junge, von der Provinz gelangweilte Frau versucht ihr Leben durch Sex aufzupeppen, lässt sich bereitwillig in den Sumpf des Verbrechens hinabziehen und nimmt dabei ein schreckliches Ende – missfiel ihm gewaltig; was aus dem Orchestergraben drang, aber noch viel mehr. Die brutale Abrechnung mit dem Werk, die zwei Tage später, am 28. Januar 1936, in der Prawda zu lesen war, verschwieg zwar den Namen ihres Verfassers. Das darin enthaltene Vokabular aber ließ auf Stalin bzw. auf sein Umfeld schließen, das schon per Überschrift – „Chaos statt Musik“ – wissen ließ, dass Schostakowitsch als „Formalist“ in Ungnade gefallen war. Im heraufziehenden Zeitalter der „Großen Säuberung“ kam das leicht einem Todesurteil gleich, und während der gestern noch so erfolgreiche Opernschöpfer, panisch vor Angst, die Partitur seiner neuen Sinfonie in der Schreibtischschublade versteckte, stand ein gepackter Koffer unter seinem Bett. Für den Fall, dass Stalins Schergen mitten in der Nacht an seiner Tür klingelten, um ihn abzuholen.
Die dramatischen Ereignisse rund um Dmitri Schostakowitsch und seine Oper Lady Macbeth von Mzensk hat auch Angelina Nikonova im Hinterkopf. Dass es Künstler in ihrer russischen Heimat derzeit besonders schwer haben, von offiziellen Vorgaben abweichende Gedanken offen zu formulieren, weiß sie nur zu gut. Zumal als Frau in einer Männerdomäne, die sie sich als Filmemacherin erst mühsam erobern musste. Ihr Weg führte sie dabei zunächst nach New York, wo sie einen Abschluss an der School of Visual Arts erhielt und ihre Fähigkeiten als Regisseurin, Produzentin und Drehbuchautorin perfektionierte. Seit dieser Zeit konnte sie eine Reihe von Filmprojekten realisieren, die nicht nur in Russland auf ein begeistertes, teilweise auch kontrovers diskutierendes Publikum stießen, sondern auch im Ausland. Mit der ebenso spannenden wie experimentellen Milieustudie Twilight Project landete Nikonova so etwas wie einen Independent-Hit, der häufiger auch bei internationalen Filmfestivals gezeigt wurde. Die Festivalpräsenz war es auch, die sie mit der Hamburgischen Staatsoper in Kontakt brachte – denn deren Intendant Georges Delnon ist ein begeisterter Cineast.
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