Auch Debatten unterliegen der Mode. Rassismus-, Gender- und Diversity-Debatten etwa erleben derzeit eine Hochkonjunktur. Ältere, nicht weniger ungelöste Probleme bleiben dagegen liegen. So auch die vermeintlich typgerechte Besetzungspolitik, wohinter sich oftmals nichts anderes verbirgt als die Diskriminierung wohlbeleibter Sängerinnen und Sänger zugunster stimmlich nicht besserer, aber optisch angeblich attraktiverer Akteure. Ein Paradox! Denn im Zuge von Diversity sollte doch Platz für jeden und jede Figur sein – auch auf der Opernbühne! Ein Beitrag über Bodyshaming und Lookism, Diskriminierung und die Folgen.
Von Uwe Friedrich
Schon im Jahr 1853 wurde der ersten Violetta Valery nach der missglückten Uraufführung von Giuseppe Verdis La traviata vorgeworfen, sie sei so fett wie eine italienische Mortadella und deshalb zumindest mitverantwortlich für den Premierenskandal in Venedig. Dass Fanny Salvini-Donatelli als einzige den stimmlichen Anforderungen ihrer Partie gewachsen war, während die Männer allesamt wirklich schlecht gesungen hatten, spielte plötzlich keine Rolle mehr. Fanny Salvini-Donatelli war nicht schlank genug, also fiel sie bei den Kritikern durch. In der Anfangszeit der Oper wurden Sängerkörper noch anders bewertet. Kastraten wurden wegen ihrer hormonbedingt überlangen Gliedmaße und ihrer Neigung zur Fettleibigkeit zwar auch gelegentlich verspottet, aber das Publikum akzeptierte sie trotz der außergewöhnlichen Physiognomie als Heldendarsteller, weil sie die virtuose Musik brillant beherrschten. Der Abstraktions- und Künstlichkeitsgrad der Barockoper vertrug noch ein Bühnengeschehen, das von der Alltagsrealität weit entfernt war. Dieses Verständnis von Glaubwürdigkeit änderte sich im 19. Jahrhundert, als ein bürgerliches Publikum seine eigenen Träume in den Stücken gespiegelt sehen wollte, als das Alltagsgeschehen sich auch auf der Opernbühne ausbreitete. Von nun an sollte eine tuberkulosekranke Prostituierte, bitteschön, auch abgemagert und verhärmt aussehen und durfte keine typische Primadonnenfigur mehr haben.
Jetzt weiterlesen!
Dies ist Premiummaterial. Testen Sie unsere Angebote, um den gesamten Artikel zu lesen.
Abonnieren
Das aktuelle gedruckte Heft jetzt bestellen oder komplett online lesen!Jetzt mit wenigen Klicks zum OPER!-Inhalt
Ausprobieren
Zwei ausgewählte Artikel kostenlos lesen? Dann registrieren Sie sich hier!In dieser Ausgabe kostenlos: