Jake Heggies Dead Man Walking scheint endgültig im Repertoire angekommen zu sein. In Braunschweig wird das Stück über Schuld und Verantwortung, Sühne und Vergebung in der Inszenierung von Florentine Klepper zu einem rundum gelungenen, gültigen und gesellschaftlich relevanten Opernabend.
Von Manuel Brug
Weit über 70 Opernhäuser weltweit und das immer treffsicher gerührte, zumindest aber nachdenklich gestimmte Publikum können nicht irren: Jake Heggies Dead Man Walking ist ein starkes Stück. Der Titel meint den Moment, wenn das amerikanische Justizsystem einen Todeskandidaten zur staatlich sanktionierten Hinrichtung ohne noch möglichen Aufschub freigibt, also der Countdown zum Tod läuft. Sein Librettist, der versierte Dramatiker Terrence McNally, hat dem 1961 geborenen Komponisten, freilich nach einem leidlich bekannten, später verfilmten Buch, ein so bewegendes wie folgerichtiges, gut ausbalanciertes, trotz des bekannten Ausgangs spannendes Libretto geschrieben. Das sorgt für immer wieder leidenschaftlichen Diskurs über ein umstrittenes, in den USA bis heute ungelöstes Thema, wird aber nie zum Thesentheater. Es lässt Opfer, in diesem Fall die Eltern, wie Täter samt Angehörigen Raum, verurteilt nicht, ist trotzdem empathisch, ohne rührselig zu sein. Es hat in Ordensschwester Helen eine ungewöhnliche Heldin, die mit dem sich ihr anvertrauenden Todeskandidaten Joseph de Rocher schließlich auch so etwas wie eine Liebesgeschichte erlebt. Auch wenn es hier um Menschen und Nächstenliebe geht. Obwohl der Täter eindeutig der Mörder eines jugendlichen Liebespaares ist, wie gleich zu Anfang brutal vorgeführt wird.
Jake Heggie ist vielleicht kein Genie des Tonsatzes, doch er kann nicht nur für die Stimme schreiben, was er vorher in vielen Liedern für die größten amerikanischen Vokalstars und nachher auch noch in einigen anderen Opern bewiesen hat, sondern vermag es auch, Stimmungen zu kreieren, abwechslungsreich zu sein bis hin zu Gospel und Pop, Handlung voranzutreiben und stehen zu lassen. Ein „Well Made Play“ mit Gesang – warum nicht?! Die Menschen gehen unterhalten wie bewegt aus diesem modernen Musiktheater, Dead Man Walking hat bisher jedes Mal seinen Zweck erfüllt.
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