Gottfried von Einems Kafka-Oper Der Prozess in Regie und Ausstattung des neuen Intendanten Sebastian Ritschel ist in einer wahnhaft irrealen Produktion in Regensburg zu sehen.
Von Klaus Kalchschmid
Am Ende sitzt Josef K. wieder einsam in seinem weißen Liegesessel wie zu Beginn. Der gerade zu Ende gegangene Alptraum, für ein bis zuletzt unbekanntes Vergehen plötzlich verhaftet zu sein, aber sein bisheriges (Arbeits-)Leben weiterführen zu müssen, könnte von Neuem beginnen. Anders als in Roman und Oper vorgesehen, stirbt der Protagonist hier nicht durch einen Stich ins Herz oder wie in der Verfilmung von Orson Welles (1962) durch eine Explosion in einem Steinbruch, sondern muss, vielleicht auf ewig, gefangen in einem Videospiel oder im Fegefeuer weiterleben. Vielleicht dreht sich die Bühne mit ihren drei Schauplätzen – das nur mit einem Sessel möblierte Zimmer, der Tresorraum einer Bank mit Schließfächern und Überwachungsbildschirm sowie die Andeutung einer Straßenszene – für alle Zeiten weiter. Nie kann man sich in diesem Setting sicher sein, ob die Porträts an der Wand zerfließen und sich auflösen, ob plötzlich jemand aus der Wand tritt oder die Tapete vor den Augen zu tanzen beginnt (Videodesign: Sven Stratmann). Sebastian Ritschel, der neue Regensburger Intendant und Operndirektor, hat die eigenhändig ausgestattete Produktion von seiner vorangegangenen Wirkungsstätte, den Landesbühnen Sachsen, mitgebracht.
Durchaus programmatisch beginnt Ritschel seine erste Spielzeit unter dem Motto „Wahrheiten“ mit einem Werk, das zwar erst 1952 entstand, bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt und dort 2018 noch einmal konzertant gespielt wurde, aber der Zeitoper der 1920er-Jahre verwandt ist, etwa dem Stilmix von Kreneks Jonny spielt auf. Es folgt in Regensburg bald Musical (Bernsteins Candide, Sondheims Putting It Together, Jason Robert Browns Parade) und wiederum moderate Moderne: Zimmermanns Weiße Rose, Maazels 1984, auch Astor Piazzollas Tango-Operita María de Buenos Aires, gelistet unter „Tanz“, gehört dazu. Eine einzige traditionelle Oper findet sich auf dem Spielplan, und dazu noch nicht einmal eine besonders populäre: Verdis Macbeth.
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