Mit der Fledermaus herrscht einen Abend launige Silvesterstimmung am Gärtnerplatztheater – auch während des Jahres.
Von Klaus Kalchschmid
Immerhin 15 Operetten hat Johann Strauss Sohn komponiert, aber einzig seine dritte, Die Fledermaus, wird landauf landab sogar an den großen Opernhäusern gespielt. Derweil es an der Staatsoper in München im großen Nationaltheater erstmals Lehárs Giuditta gab, setzt die kleine Schwester, das Gärtnerplatztheater, auf den bewährten Schlager – in Koproduktion mit dem Maggio Musicale Fiorentino. Dort kam Il pipistrello, wie Die Fledermaus auf Italienisch heißt, in der Regie von Josef E. Köpplinger im Januar heraus. Jetzt, zur Premiere am koproduzierenden Staatstheater am Gärtnerplatz, gibt es einen in seinen Dimensionen und seiner Entwicklung kaum vorhersehbaren Krieg in Europa. Hat man da den Nerv und die Unbeschwertheit, einer reichlich durchgeknallten Ehe-Farce mit geistsprühend ironischer Musik beizuwohnen? Also mithin einer Operette, in dessen Zentrum ein ausgelassenes, champagnerseliges Fest stattfindet rund um einen reichen Typen aus russischem (!) Hochadel?
Aber weil der Gärtnerplatz-Intendant Köpplinger die berühmteste und meistgespielte aller Operetten in den 1920er-Jahren ansiedelt (Bühne: Rainer Sinell, Kostüme: Alfred Mayerhofer) und alles auf slapstickhafte Übertreibung setzt, funktioniert diese ebenso wilde wie schräge Überrumpelung, bei der man für einen Abend den real existierenden Wahnsinn vergisst. Die Welt ist buchstäblich aus den Fugen und jede Wand und jede Tür irgendwie schräg und gekippt. Im ersten Akt sehen wir ein Jagdzimmer mit allerlei Geweih an der Wand, ein Christbaum steht in der Ecke. Dessen goldglänzende Kugeln werden zum anzüglichen Requisit, das zwei Männer wie balls in ihren Händen schaukeln. Ein kleines Hündchen bellt als Running Gag immer wieder aus dem Nebenzimmer. Im nicht nur mit Akten vermüllten Messie-Büro des Gefängnisdirektors Frank im dritten Akt hat endgültig jedes Architektur-Detail heftige Schlagseite. Einzig das berühmte, hier kunstschneebedeckte Denkmal von Johann Strauss als Stehgeiger aus dem Wiener Stadtpark steht im französischen Heckengarten des zweiten Akts aufreizend vertikal im Zentrum und dient auch immer mal wieder als phallisches Objekt der Begierde, an das man sich anschmiegen kann oder das einen Blowjob dezent verbirgt.
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