Das Staatstheater Hannover zeigt eine Neuinszenierung von Tschaikowskys Klassiker Eugen Onegin. Herausgekommen ist ein stimmiger Abend, der zwar nicht mit ausgefallenen Regie-Ideen, dafür aber mit einer feinfühligen psychologischen Lesart punktet.
Von Anna Schors
Im matten Schimmer der Scheinwerfer sitzen zwei junge Männer schweigend beieinander. Gedankenversunken ziehen sie an ihren Zigaretten. Sie atmen geräuschvoll ein und aus. Vorne am Bühnenrand liest eine Frau in schlichtem Rock und einfacher Bluse Reime in russischer Sprache vor. Es handelt sich um einen Auszug aus Alexander Puschkins Versroman Eugen Onegin, der Peter Tschaikowsky knapp 45 Jahre später zu einem musikdramatischen Meisterwerk gleichen Namens inspirierte. Die ausgewählte Passage beschreibt die ungewöhnliche Freundschaft zwischen dem Dandy Eugen Onegin und dem eher romantisch veranlagten Poeten Lenski: zwei ungleiche Wanderer auf der Suche nach dem Glück.
Mit der Entscheidung, die literarische Erzählung der musikalischen Ouvertüre als Prolog voranzustellen, legt die Regisseurin Barbora Horáková den Fokus auf ein zutiefst menschliches Sujet: das Drama zweier Seelen, die vom Schicksal entzweit werden. Als Lenski seinen Freund Onegin in die einsame Waldgegend seiner Kindheit mitnimmt und ihn im Elternhaus seiner Verlobten Olga einführt, verliebt sich deren schüchterne Schwester Tatjana sofort unsterblich in den geheimnisvollen Großstädter. Ihre Schwärmerei quittiert dieser jedoch mit kaltem Spott und demütigt das junge Mädchen aufs Tiefste. Während der abendlichen Festlichkeiten fordert er schließlich die lustige Olga zum Tanz auf und entfacht damit Lenskis flammende Eifersucht. Zwischen den beiden einstigen Freunden kommt es zum Duell, Lenski stirbt. Jahre später treffen Onegin und Tatjana auf einem Ball erneut aufeinander. Sie hat reich geheiratet, sich in eine elegante Dame verwandelt. Erschüttert erkennt Onegin, dass er sie in Wahrheit immer geliebt hat. Doch diesmal ist sie es, die ihn zurückweist. Am Ende der Oper hat Onegin nicht nur seinen einzigen Freund verloren, sondern auch die wahre Liebe verspielt.
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