Am Theater Basel inszeniert der Intendant Benedikt von Peter Bachs Matthäus-Passion. Das Resultat funktioniert mehr über den Kopf als das Herz – und bildet so ein starkes Gegengewicht zur Musik.
Von Tobias Gerosa
„Ich habe Angst, es könnte zu spät sein“ und „Wer von euch ist überhaupt bereit, etwas zu opfern?“ – Der Schlussakkord von Bachs Matthäus-Passion bleibt im Theater Basel liegen, und vom Bildschirmwürfel in der Mitte der Bühne aus konfrontieren Kinder das Publikum mit ernsthaften und großen Fragen. Es sind die Kinder, die vorher unter dezenter Anleitung des Evangelisten in braven, pastellfarbenen Kostümen die Passion nachgespielt haben. Jetzt zum Schluss emanzipieren sie sich, werden von dem Mädchen (Faye Rownes), von den Erwachsenen und der Welt der Kreuzigung weggerissen, die ihnen fremd ist – es gibt aktuelle Probleme, die gelöst werden müssen. Das Mädchen, vielleicht ist es Greta Thunberg, hatte schon zuvor nicht mehr mitspielen wollen, hat die Silberlinge zu Boden gepfeffert, rezitiert anklagend Drohungen aus der Apokalypse und versucht vergebens, die brutale Hinrichtung, von der die Handlung erzählt, zu stoppen. Ganz am Schluss, wenn in der Passion mit der Grablegung der tiefste Punkt erreicht ist und im Schlusschor die große Ruhe einkehrt, weckt sie die junge Generation, die bisher nur ausführte, was man ihr sagte, auf. Ein Hoffnungsstrahl?
Der Regisseur Benedikt von Peter, Intendant des Theaters Basel, hätte seine Inszenierung eigentlich in der letzten Spielzeit an der Deutschen Oper Berlin herausbringen sollen, doch dort fiel sie der Pandemie zum Opfer. Nun ist sie zuerst in Basel zu sehen (wo die Dimension des Theaterraums ihr vermutlich besser ansteht), bevor sie im Mai 2023, dann ebenfalls mit dem Dirigenten Alessandro De Marchi, aber in neuer Besetzung, nach Berlin kommt. Peter interessiert die Passion nicht als christliche Bekenntnismusik, für ihn stehen das Ritual und seine Werte im Zentrum. Dass das Resultat dadurch mehr über den Kopf funktioniert als über das Herz, passt gut dazu – und bildet ein starkes Gegengewicht zur Musik.
Jetzt weiterlesen!
Dies ist Premiummaterial. Testen Sie unsere Angebote, um den gesamten Artikel zu lesen.
Abonnieren
Das aktuelle gedruckte Heft jetzt bestellen oder komplett online lesen!Jetzt mit wenigen Klicks zum OPER!-Inhalt
Ausprobieren
Zwei ausgewählte Artikel kostenlos lesen? Dann registrieren Sie sich hier!In dieser Ausgabe kostenlos: