Mozarts Le nozze di Figaro am Gärtnerplatztheater als wunderbar erotische Komödie und Händels Semele bei den Opernfestspielen im Prinzregententheater als bitterironisches Pendant dazu.
Von Klaus Kalchschmid
Le nozze di Figaro
Kein halbes Jahrhundert liegt zwischen diesen Opern(-Oratorien): Händels Semele an der Bayerischen Staatsoper und Mozarts Figaro am Gärtnerplatztheater. Beide Male geht es um eine Hochzeit und erotische Irrungen und Wirrungen. Doch während bei Händel die Titelfigur an ihrer Hybris, den geliebten Gott in wahrer Gestalt sehen zu wollen, verbrennt, gibt es bei Mozart am Ende des „Tollen Tags“ die Versöhnung und die Bitte um Verzeihung des Grafen. Doch eigentlich sollte die Gräfin (mit warmem Ausdruck in ihren beiden großen Arien: Ana Maria Labin) ihren Mann alias Ludwig Mittelhammer, diesen schönstimmig hübschen Gockel, in die Wüste schicken. Der greift allem, was einen Rock anhat, unter denselben. Doch bei Josef E. Köpplinger sind sie alle das, was man im Tierreich „rollig“ nennt. Jeder schnüffelt an der Kleidung des anderen oder fummelt daran herum, auch Marzelline (herrlich prall: Anna Agathonos) und Don Basilio (Juan Carlos Falcón), der beim Richten des Morgenmantels etwas zu lange zwischen den Beinen des Grafen verweilt.
Die Bühne von Johannes Leiacker zeigt ein reichlich heruntergekommenes Herrenhaus, in dem zwar der Putz bröckelt, die Fenster blind oder zerbrochen sind, aber verblasste erotische Fresken an der Wand erahnen lassen, welche Pracht hier einst herrschte. Im dritten Akt gibt es den Blick auf den Vorhang eines kleinen Barocktheaterchens im Hintergrund, dessen Kulissen im vierten Akt jede Menge Versteckspiel erlauben. Dank Rubén Dubrovsky, dem neuen jungen GMD des Gärtnerplatztheaters ab der nächsten Spielzeit, tönt es aus dem Graben wunderbar inspiriert. Auch wenn nicht mit Darmsaiten gespielt wird, gibt es (exzellente) Naturhörner und eine großartige Pianistin am Hammerklavier (Anke Schwabe) in den Rezitativen. Die Protagonisten auf der Bühne sind hervorragend, allen voran Sophie Mitterhuber als Susanna – schlank in Stimme wie Erscheinung. Bassbariton Levente Páll singt und spielt Figaro mit gefestigter Männlichkeit, während Anna-Katharina Tonauer als Cherubino einen pubertierenden Knaben erleben lässt, der von den ihn übermannenden Hormonen berauscht wird wie von einer Droge.
Semele
Georg Friedrich Händels spätes Oratorium Semele handelt ebenfalls von einer Hochzeit, die hier am Anfang und Ende ganz in Weiß und vor allem für den Fotografen ausführlich zelebriert und doch von der Braut gesprengt wird. Denn Semele hat gerade noch durch Jupiter göttliche Sinnlichkeit erfahren und ist für den jungen Gatten Athamas verloren. Jupiters eifersüchtige Gattin Juno wittert die Chance auf Rache: In Gestalt von Semeles Schwester Ino (mit herrlichem Alt: Nadezhda Karyazina), die unsterblich in Athamas verliebt ist, verführt Juno Semele zur Hybris: Der Gott möge ihr doch in seiner eigentlichen, göttlichen Gestalt erscheinen. Doch diese blendet sie so sehr, dass sie verbrennt. In der Inszenierung von Claus Guth sitzt Semele am Ende traumatisiert, seelisch leer und ausgebrannt an der Rampe eines schönen, hell leuchtenden klassizistischen Raums (Michael Levine). Aus diesem Gefängnis war Semele ausgebrochen, indem sie mit einer Axt ein großes Loch in die Wand schlug. Dahinter befindet sich ein schwarzer Wald aus den Adlerfedern Jupiters, der immer stärker Besitz ergreift von der klassizistischen weißen Halle. Darin formt Guth mit Eleganz und Witz die Ambivalenz von Semeles Begehren und der Figuren um sie herum.
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