Das Opera Forward Festival in Amsterdam lockt mit zwei besonderen Produktionen wieder einmal reichlich junges Publikum in die Oper. In Soreys Perle Noire brilliert eine wunderbar wandelbare Julia Bullock als Josephine Baker, während die Uraufführung von Alexander Raskatovs bitterschwarzer Oper Animal Farm in der Regie von Damiano Michieletto mit reichlich Holzhammer-Drastik über die Bühne geht.
Von Eleonore Büning
Nichts geht mehr in den Tempeln der Hochkultur ohne „Nichtbesucher“-Forschung. Alle legen die Latte tiefer, in Sorge um das Publikum von Morgen. In Amsterdam ist es schon da. Es tanzt im Foyer, technozappelt in den Pausen, jubelt im Saal einer abendfüllenden Oper zu und experimentiert unter Laboratorium-Bedingungen mit interaktiven, eventuell sogar immersiven Formen der Oper von Übermorgen. Warum funktioniert das? Ganz einfach: Weil Intendantin Sophie de Lint mit ihrem Team die Latte nach wie vor dahin legt, wo sie hingehört. Oper ist Oper bleibt Oper – ein hochfragiles, kostenintensives Gesamtkunstwerk. Keine Verlegenheitslösung. Und erst recht kein Selbstverwirklichungs-Ringelpiez.
Das Opera Forward Festival (OFF) der Amsterdamer Nationaloper stellt traditionell eine große Uraufführung in den Mittelpunkt. Sie wird eingebettet in ein politisch aktuelles Thema und flankiert und ergänzt von studentisch erarbeiteten Kurzopern. Der Altersdurchschnitt des Publikums beim OFF ist signifikant niedrig, das gilt auch für die ernsten, großen, alten Stücke, die im Dunkeln, im klassischen Guckkasten abgesessen werden, wie, zum Beispiel, in diesem Jahr das Gastspiel von Altmeister Peter Sellars.
Perle Noire
Das Thema lautet „Revolution“, Sellars Stück heißt Perle Noire, es handelt sich um die musikalische Befreiungsaktion für eine schwarze Frau – uraufgeführt im Juni 2016 beim Ojai-Festival in Kalifornien und jetzt, als europäische Erstaufführung des Pariser Théâtre du Châtelet, eingeladen nach Amsterdam. Nur drei Afroamerikaner sind an dieser Kreation beteiligt: der Komponist, Pianist und Schlagzeuger Tyshawn Sorey, die Poetin Claudia Rankine und die charismatisch unerhört wandelbare Sopranistin Julia Bullock. Die übrigen Musiker, dazu gerechnet auch Regisseur und Pate Sellars, gehören zur Fraktion der Weißen. Handelt es sich etwa um eine „kulturelle Aneignung“, wie man sie hierzulande gern anprangert? Sellars hält das für kompletten Blödsinn: Jeder sollte selbst wissen, wie er sich innerlich fühlt.
Bullock, die kürzlich bei Nonesuch ihr erstes CD-Recital herausgebracht hat, dringt ein in die Essenz des abenteuerlichen Lebens und Schaffens der schwarzen Jazz-Sängerin Josephine Baker, die, wie sie selbst, aus St. Louis in Missouri, stammt. Was impliziert: Bakers Flucht vor dem rassistischen Alltag in Amerika, ihre Ausbeutung als Sexsymbol durch weiße, europäische Männer, ihre späte Karriere als Mitglied der französischen Résistance, ihren Kampfesmut, ihren bizarren Humor, ihre Lebenslust, ihren Mut, ihre Verzweiflung. Und: ihre Musik.
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