In Olivier Pys Mailänder Inszenierung von Massenets Thaïs wird vor allem viel herumgestanden. Und auch musikalisch geht der Abend ziemlich in die Hose.
Von Uwe Friedrich
Wie eine neue Maria Magdalena findet die Kurtisane Thaïs ihre Bestimmung darin, sich vom sündigen Leben abzukehren und in Reinheit zu sterben. Sie wurde vom Mönch Athanaël bekehrt, der allerdings den entgegengesetzten Weg geht. Seine Erkenntnis lautet, dass die irdische Liebe der geistlichen überlegen ist. Aber da ist es schon zu spät, Thaïs bleibt ihrer neuen Bestimmung treu und stirbt in der Wüste. Auf den ersten Blick liefert der zu seiner Zeit überaus erfolgreiche Komponist Jules Massenet in seiner Oper Thaïs vor allem ein schwüles Melodram, das religiösen Kitsch geschickt mit amouröser Kolportage vermischt, übergossen mit dem farbreichen Schimmern und Glitzern einer chromatisch gewürzten Partitur. Dass die Sängerin der Titelpartie in der Uraufführung barbusig auftrat, gab dem Werk endgültig den Beigeschmack, ein bewusst kalkuliertes Skandalmachwerk aus einer sexuell verklemmten Zeit zu sein, das zu Recht nur im Wunschkonzerthit der „Méditation“ überlebt habe. Wer genauer hinschaut, entdeckt hingegen, dass es in dieser Oper vor allem um die Ähnlichkeit der religiösen und der sexuellen Ekstase geht, um die Sehnsucht nach Enthemmung und darum, dass die eine Form der Hingabe je nach persönlicher Disposition als Ersatz für die andere dienen kann.
Der französische Regisseur Olivier Py hat die Handlung gemeinsam mit seinem Ausstatter Pierre André Weitz aus dem antiken Alexandria in eine Tingeltangelbühne der 30er-Jahre verlegt. In der mehrstöckigen Garderobenkonstruktion bereiten sich barbusige Varieté-Tänzerinnen und muskulöse Jünglinge auf ihre Show vor, recken und strecken sich, zeigen ihre körperlichen Vorzüge. Nicias, aktueller Liebhaber der Thaïs, tritt als genderfluider Perlenliebhaber im Glitzerkostüm auf und erläutert Athanaël den Stand seiner Beziehung zu Thaïs. Der Mönch zeigt sich sehr beeindruckt von der Glitzerwelt des Theaters, schließlich ist seine Herkunft aus einer Vorortkirche auch besonders trostlos. Da kann sogar die klapprige Kulissenwelt eines Amüsierbetriebs beeindruckend wirken.
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