Nach über anderthalb Jahren Schließzeit hat die Metropolitan Opera Ende September ihren Spielbetrieb wieder aufgenommen – mit zwei Premieren, wie sie unterschiedlicher kaum hätten ausfallen können: Terence Blanchards Fire Shut Up in My Bones, die erste Oper eines schwarzen Komponisten am Haus, und Modest Mussorgskys Boris Godunow in der Urfassung.
Von George Loomis
Fire Shut Up In My Bones
Anders als viele europäische Häuser, blieb die Metropolitan Opera New York von März 2020 bis September dieses Jahres komplett dunkel. Erstmals wurde im Zuschauersaal am 11. September wieder Licht gemacht, allerdings nur für eine Aufführung von Verdis Requiem zum 20. Jahrestag der Terroranschläge. Umso spektakulärer dann die Eröffnung der neuen Spielzeit am 27. September: Zum ersten Mal in der 137-jährigen Geschichte der Met präsentierte das Haus die Oper eines schwarzen Komponisten, und das betreffende Werk, Fire Shut Up In My Bones von Terence Blanchard, erwies sich dem Anlass als vollauf angemessen. Uraufgeführt 2019 am Opera Theater of St. Louis, ist es die zweite Oper von Blanchard, einem gefeierten Jazztrompeter, der auch mehrfach Filmmusik für Spike Lee geschrieben hat. Fire Shut Up In My Bones basiert auf den Memoiren des Journalisten Charles M. Blow, die 2014 unter dem gleichen Titel erschienen (ein Zitat aus Jeremia 20,9: „Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, verschlossen in meinen Gebeinen“), eine Art biografischer Bildungsroman über die Härten, als schwarzer Mensch im US-amerikanischen Süden aufzuwachsen.
Neben Armut erfuhr Charles auch sexuelle Gewalt durch einen älteren Cousin, seine gesamte Persönlichkeit empfand Blow im Konflikt zum Südstaaten-Lebensstil. „Der Süden ist kein Ort für einen Jungen von besonderer Anmut“, heißt es in einem Refrain. Alles endet im Guten, Charles erhält ein College-Stipendium und, wichtiger noch, kann sein mörderisches Verlangen nach Vergeltung gegenüber seinem Peiniger aus Kindheitstagen überwinden. Die Erzählung schließt, noch ehe wir von Charles‘ beruflicher Karriere erfahren, aber wenige Zuschauer in New York dürften darüber in Unkenntnis sein, dass Blow mittlerweile Kolumnist bei der New York Times ist.
Kasi Lemmons‘ wohlgedrechseltes Libretto endet mit einem Frohgefühl, gespiegelt in Blanchards attraktiver, überaus reger Partitur. Seine Kinoerfahrung hat, so scheint es, auch seinem dramatischen Gespür Feinschliff gegeben. Die Musik entfaltet sich entlang zweier stilistischer Stränge, der eine vom Jazz herkommend, der andere ein quasi-klassisches Post-Puccini-Idiom. (Blanchards Vater war ein großer Opern-Fan, und das Stück ist merklich auch eine Hommage an ihn.) Die Jazz-Partien werden gelegentlich mit schwarzer Kultur assoziiert, so in der Kirchenszene im zweiten Akt, während die klassischen Elemente eher die emphatisch dramatischen Momente unterstreichen, doch bewegt sich Blanchard alert zwischen beiden Polen. Ein Jazz-Ensemble in wechselnder Besetzung dient als Art Continuo für die synkopierten Stimmlinien, die wie Rezitative oder Ariosi eingesetzt werden.
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