Früh beendete der britische Tenor Laurence Dale seine Gesangskarriere. Doch die Opernbühne hat er nicht verlassen, er bespielt sie nur auf andere Weise: Seit über 20 Jahren hat er sich erfolgreich als Regisseur in der internationalen Opernwelt etabliert.
Von Stephan Schwarz-Peters
Herzlichen Glückwunsch zur Wiederauferstehung. Kürzlich erst hatte ihn ein Online-Musikmagazin für tot erklärt, doch wie ein Gespenst wirkt Laurence Dale bei unserem Meeting am anderen Ende des Bildschirms keineswegs. „Das passiert mir andauernd“, resümiert der britische Ex-Tenor, Jahrgang 1957, für den das James-Bond-Motto „Man lebt nur zweimal“ fast schon zu tief gegriffen klingt. In den Achtzigern („als viele um uns herum an AIDS starben“) hatte er sich erstmals als totgeglaubter Kulissenschreck hervorgetan. „Man sagte mir, ich wäre wie eine Katze: Ich hätte neun Leben“, scherzt der frankophile Brite, der heute in einem uralten Anwesen im Norden Frankreichs lebt, „mitten in der Wildnis“, wie er hinzufügt. Sie ist der Rückzugsort für einen, der als Sänger die ganze Welt bereiste und es noch heute, in anderer Funktion, tut. Dass er früh schon, in seinen Vierzigern, seine Bühnenkarriere beendet hat, hat viele Opernfreunde, Fans und Kollegen ratlos zurückgelassen. Nur die wenigsten kennen den Grund dafür – „und es ist auch etwas, worüber ich nicht oft rede“, sagt Laurence Dale. Denn so amüsiert und gelassen stand er dem Thema verfrühte Todesanzeigen nicht immer gegenüber.
Seine Karriere hatte Dale mit einem künstlerischen Paukenschlag, mit einem wahrhaft legendären Auftritt begonnen, und zwar am Pariser Théâtre des Bouffes du Nord: Hier hatte im November 1981 Peter Brooks revolutionäre Bizet-Adaption La tragédie de Carmen Premiere, in der Dale die Rolle des Don José sang. Nicht zuletzt die Filmfassung 1983 sicherte ihm frühen Ruhm, und schon bald befand sich der junge Sänger, der in London bei Rudolf Pinay studiert, aber auch Unterricht bei bedeutenden Tenören wie Ernst Haeflinger und vor allem Peter Pears (den er perfekt imitieren kann) erhalten hatte, auf den großen Bühnen in London, Paris, Wien, Berlin, Brüssel und Zürich wieder. Nicht eigentlich ein Spezialist, aber schon damals auch musikalisch ein großer Frankreichliebhaber, stürzte sich Dale bereits in jungen Jahren wie ein Besessener aufs französische Repertoire, setzte sich auf diesem Gebiet für verdrängte und vergessene Komponisten wie Méhul oder Auber ein, in dessen Gustave III. ou Le bal masqué, einem Vorläufer von Verdis Maskenball, er 1991 als Titelheld zu hören war. Doch auch als Verdi- und Rossini-Sänger hatte Dale Erfolg, ebenso mit Mozart, der ihm ausgerechnet in Wien den Ritterschlag einbrachte, wo ihm Marcel Prawy, der Schutzheilige aller Opernverrückten, bescheinigte, der „beste Tamino seit Wunderlich“ gewesen zu sein. Steil ging seine Karriere bergauf, bis ihm eines Abends Anfang der 1990er-Jahre während einer Vorstellung erstmals die Stimme versagte.
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