Eines haben Opernheldinnen wie Gilda, Norma, Violetta, Tosca oder Carmen gemeinsam: Sie machen sich selbst zum Opfer oder werden von anderen zum Opfer gemacht. Ist die Oper misogyn, reaktionär, zynisch? Alles eine Frage der Betrachtungsweise, wie Barbara Vinken in ihrem neuen Buch Diva nachweist.
Von Stephan Schwarz-Peters
Die Operngeschichte gleicht einem Friedhof: Leichen, wohin man schaut. Vor allem tote Frauen hat das Genre in Hülle und Fülle hervorgebracht, durch Mord, Selbstmord oder gebrochene Herzen dahingerafft für den Ruhm ihrer meist männlichen Schöpfer. Zuvor mussten diese Opernheldinnen die Qualen der Eifersucht, der verschmähten Liebe und des Verrats erfahren, Schande, Entehrung und Selbstverleugnung über sich ergehen lassen. Ebenso theatralisch wie ihr Leiden (zu dem sich gern noch der Wahnsinn hinzugesellt) ist oft ihr Abgang von der Bühne. Sich schwindsüchtig zu Tode husten wie Mimì in Puccinis La bohème oder Violetta Valery in Verdis Traviata gehört dabei noch zu den gnädigeren Schicksalen. Andere Frauen werden lebendig begraben (Aida) oder verbrannt (Norma), enthauptet (Maria Stuarda) oder mit vergifteten Veilchen ins Jenseits befördert (Adriana Lecouvreur). Mancher Operntitelheldin scheint es dabei sogar recht zu geschehen, berüchtigten Femmes fatales wie der von Don José aufgeschlitzten Carmen zum Beispiel, oder der vermeintlich männerverderbenden Lulu, die nach ihrem Abstieg in die Gosse Jack the Ripper in die Arme läuft. Unterm Strich ergeht es den Frauen auf der Opernbühne nicht gut, man könnte das Musiktheater insgesamt für misogyn halten – und zynisch, weil es das Elend zu allem Überfluss auch noch mit betörender Musik umrahmt.
In ihrem rund 30 Jahre alten Buch Die Frau in der Oper. Besiegt, verraten und verkauft kommt die Philosophin Catherine Clément, selbst Opernenthusiastin, zu eben diesem Ergebnis. Aus feministischer Sicht durchforstet sie darin wie in einer Art alternativem Opernführer die Handlung von mehr als 30 populären Opern und beleuchtet das Schicksal prominenter weiblicher Figuren von Desdemona bis Brünnhilde, von Butterfly bis zur Königin der Nacht. In ihnen sieht die französische Autorin, die selbst als Librettistin in Erscheinung getreten ist, nichts als die Opfer eines männergeschaffenen Kunstkults, der sich an dahingeschlachtetem Frauenfleisch ergötzt und seine über Tod und Leben gebietende Dominanz zelebriert. Eine Zeremonie zur Aufrechterhaltung des Patriarchats, die vielen, die in der Oper nichts weiter als ein Relikt reaktionärer überholter Gesellschaftsmodelle sehen, als Beweis für deren mangelnde Kompatibilität mit der heutigen Gesellschaft ansehen. Allein, wird man damit weiblichen Operncharakteren, die meist deutlich vielschichtiger angelegt sind als ihre männlichen Pendants, gerecht? Spricht nicht schon allein die in Operntiteln häufig widergespiegelte Fokussierung auf eine weibliche Hauptfigur gegen die These des nur passiven Spielballs männlicher Machenschaften?
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