Zeitgenössische Opern haben keine Chance, ins Repertoire aufgenommen zu werden. Oder etwa doch? Derzeit erobern amerikanische Komponisten auch in Deutschland die Bühnen: Mit gut gemachtem, zeitaktuellem und problembewusstem Musiktheater. Vielleicht auch eine Idee für deutsche Opernschöpfer?
Von Stephan Schwarz-Peters
Wie schreibt man eine erfolgreiche Oper? Hätte man Verdi oder Mozart diese Frage gestellt, hätte die Antwort lauten können: Man nehme eine zeitgemäß zeitlose Handlung, die große Fragen des Lebens stellt, entwickle daraus einen dramatischen Plot mit zahl- und abwechslungsreichen Bühnensituationen, bevölkere diesen mit nachvollziehbaren Charakteren, in denen sich möglichst viele Menschen wiedererkennen können, und untermale das Ganze durch eine exzellente Musik. Nebenbei bemerkt: Über literarische Mängel des Librettos darf ruhig hinweggesehen werden, sofern es nur gut gebaut ist und den Forderungen nach theatraler Wirkung genügt. Beachtet man all dies, hält sich die Opernware noch nach Jahrhunderten frisch und dominiert die Spielpläne, als hätte es in der Zwischenzeit keine neuen Werke gegeben.
So weit so gut, doch heutigen Opernkomponisten scheint dieses Erfolgsrezept abhandengekommen zu sein. Zumindest in Deutschland. Groß ist die Zahl aktueller Opern, deren Uraufführung oft unter großem PR-Aufwand in der Öffentlichkeit lanciert wird, um nach einer Serie von maximal sechs Aufführungen meistens vor halbleerem Haus für immer zu verschwinden. Zu sperrig, zu kryptisch, zu selbstreferenziell – Folgeaufführung ausgeschlossen. Gibt es überhaupt so etwas wie ein zeitgenössisches Repertoire? Opern, die in den letzten Jahren entstanden sind und an mehreren Häusern vor interessiertem Publikum gespielt werden? Beim Blick auf die bundesrepublikanischen Staatsopern-Spielpläne von Berlin bis München würde man kaum auf die Idee kommen. Doch schaut man eine Reihe weiter, an die mittleren und kleineren Häuser, sieht es schon anders aus.
Etwa in Koblenz, wo seit 2009 Markus Dietze Intendant ist und in den vergangenen Jahren mit einer Serie zeitgenössischer amerikanischer Musiktheaterwerke nicht nur neugierige Blicke von außerhalb auf sein Haus lenken, sondern auch Erfolge beim eigenen Publikum verbuchen konnte. Im Januar erst hatte, in Dietzes eigener Regie, Jake Heggies Dead Man Walking Premiere. Die zweiaktige Oper des US-Komponisten auf den Text von Terrence McNally (u.a. Master Class) ist ein Phänomen. Uraufgeführt im Jahr 2000 in San Francisco, erlebte das Stück international bislang etwa 50 Produktionen. In Deutschland war es erstmals 2006 an der Dresdner Semperoper zu sehen, mit zeitlichem Abstand, aber gerade in den letzten Jahren in dichtgedrängter Folge, nahmen sich die Häuser in Hagen, Schwerin, Bielefeld, Erfurt und Oldenburg seiner an. Zeitgleich mit Koblenz hat das Staatstheater Braunschweig Dead Man Walking in den Spielplan genommen. Hatte je ein deutschsprachiges Werk aus der Jahrtausendwende einen solchen Lauf?
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