An der Staatsoper Hannover entdeckt Lydia Steier in Mozarts Le nozze di Figaro unter historischem Gewand neue Abgründe und Gefühle.
Von Andreas Berger
In Hannover steht die Bitte um Verzeihung gleich am Anfang: „Contessa perdono!“ singt der Graf, und alle Paare haben sich brav gruppiert. Friede, Freude, Eierkuchen am Vorabend der Revolution? Aber nun setzt ja die kribbelige Ouvertüre der Nozze di Figaro ein, und die zeigt an, dass die unruhigen Kräfte von Erotik und gesellschaftlicher Unzufriedenheit fähig sind, alles Bestehende hinwegzuwirbeln. Giulio Cilona am Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters geht durchweg flott zuwege, lässt nie altemusikig-dünn spielen, aber sehr dynamisch, mit viel Laut-leise-Kontrasten und Schwung.
Susanna jedenfalls steigt aus dem Tableau, und nun beginnt eine geradezu vorbildlich sorgsame Befragung des alten Opernstoffs, die in historischem Kostüm und einer mit Schiebewänden immer nur teilweise sichtbar gemachten Enfilade zu noch ungeahnten emotionalen wie politischen Pointen führen wird. Hält man Lydia Steiers Inszenierung zunächst für schön gespielte Konvention, wird man unversehens immer mehr in die Verzweiflung der Figuren hineingezogen. Das entrollt sich handlungsmäßig wie in einem Krimi. Am Ende stehen der Graf und Susanna plötzlich vor der gemeinsamen Flucht, und das Schloss geht in Flammen auf, überrannt von einem gewaltbereiten Mob, in dem wir auch die Fellmütze aus Trumps Capitol-Sturmtruppen zu erkennen meinen. Was für eine Dynamik, was für Abgründe, wow!
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