Am Opernhaus Zürich packt Donizettis Anna Bolena dank der Besetzung und Diana Damraus Innerlichkeit.
Von Tobias Gerosa
Sie steht ganz hinten an der Wand und spricht wie zu sich selbst. Vorne singt die Konkurrentin und Nachfolgerin in der Liebe König Heinrichs VIII. ihre Rechtfertigungen, emotional, heftig. Gaetano Donizetti lässt die englische Königin Anna Bolena in der nach ihr benannten Oper mit kurzen Einwürfen reagieren. Und Diana Damrau lässt mir ihren wie beiläufig-unbeteiligten Bemerkungen in dieser Szene den Atem stocken. Da ist eine Seele mit sich selbst beschäftigt und ahnt, dass dies zu ihrem Tod führen wird. Mehr nach innen gestalten kann man wohl nicht, als es Damrau hier tut. Und die theatrale Wirkung ist immens, gerade weil sie sich an der Grenze zum Unhörbaren gegen die starke Gegenfigur von Karine Deshayes behauptet. Gesteigert wird das in der großen Schlussszene „Al dolce guidami“, die ja eigentlich keine Wahnsinnsszene ist: so gespannt und leise, als dürfe sie nie über ein Mezzopiano hinauskommen. An dieser Stelle ist diese Neuinszenierung ganz groß.
Nach Maria Stuart 2018 singt Damrau nun in Zürich ihre erste Anna Bolena, und in Zusammenarbeit mit dem Leitungsteam um Enrique Mazzola und David Alden wird Roberto Devereux, der letzte Teil von Donizettis Trilogie über die englischen Königinnen, noch folgen. Die vokale Subtilität, mit der Damrau diese Rolle angeht, frappiert. Sie singt alle an die Wand, indem sie vokal alles leise unterläuft.
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